Von Jean Paul an Caroline Herder. Bayreuth, 24. Juni 1806.

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Brieftext

Kopie
[ Bayreuth, 24. Juni 1806 ]

— Wer liebt, stellt sein Herz nackt von allen Seiten den Pfeilen
des Zufalls dar; und eine Mutter kann jeder Augenblick ver
wunden. Einen Trost haben Sie am Grabe Ihres Gottfrieds,
ich meine nicht den, daß er sein ganzes Leben gleichsam auf leichten
Flügeln durchging und das Schwere und Leichte leicht nahm,
sondern den größern, daß er die großen Perioden eines Menschen
oder die Freuden erreichte und erfüllte, die der wissenschaftlichen
Ausbildung, die der Liebe und Ehe und die, ein Vater zu sein. Was
nachkommen könnte, wäre nur Wiederholung des Besten bis zur
Abschwächung gewesen. Er war reif; warum soll ein Mensch über
reif werden? Und warum zürnen wir über das Schicksal, das
manchen den welkenden Lebens November durch einen Sommertodt
erläßt? Dieß tröste die Mutter, die leidende an neuen Wunden in
alten.


So leert sich mir Weimar aus und nur die Petri Paul Kirche ist
noch voll.

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 5. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1961.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Berlin Herder (derzeit BJK). 4 S. 8°. *K: Die Herder 24 Jun. i: Denkw. 3,133. Vollständig nach H gedruckt IV. Abt., V, Anhang Nr. 29. B: IV. Abt., V, Nr. 92. A: IV. Abt., V, Nr. 98. 94,9 erreichte] davor gestr. erlangte H

Gottfried Herder, der älteste Sohn, war am 11. Mai 1806 gestorben. 94, 17 Petri Paul Kirche: die Weimarer Stadtkirche, Herders Wirkungsund Grabstätte.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/V_225.html)