Von Jean Paul an Friedrich Heinrich Jacobi. Bayreuth, 24. Juni 1806.
Brieftext
Ich vergelte dir, du Lieber, deine Liebe wenig. Ich hätte schreiben
und reisen sollen. Aber meine Erziehungslehre, welche mir als
ein
Buch voll Sentenzen mehr Zeit wegfrißt, als ich dachte, nahm
mir
herrliche Maitage weg und die Brief- und Reise-Tage
dazu. Erst
im August werde ich mit dem 2ten Bändchen fertig. Da nun das Buch
zu
Michaelis bei Vieweg in Braunschweig erscheint: so kann ich
meinen Zug, wie andere Zugvögel, nach dem letzten Orient
meines
Innern — denn du bist der einzige Autor, den ich noch zu
sehen
wünsche — erst im Herbst antreten. Auch den gespohrten
Kampf
hähnen, den Gallis, wollt’ ich nicht gern begegnen, da ich wie der
Löwe oder Petrus keine große Freude an ihrem Krähen
habe. Für
die Menschheit geb’ ich gern die Deutschheit hin; sobald aber
beide
Einen Gesammtfeind haben: so wend’ ich meine Augen von
diesem.
Ich war nie in München, nicht einmal in Regenspurg, vor
welchem letztern mir als Rasttage-Mittelstazion und
Halbscheide
grauset, weil ich weiß, wie sich bekannte Autoren den Körper ver
derben in einem Kreise gastfreier Leser.
Deine Streitigkeit mit Koerte hat mir geistige Schmerzen
gegeben,
weil ich deine leiblichen dabei so gewiß voraus weiß. Noch hab’
ich
den Briefwechsel nicht gesehen. Mir ists gleichgültig,
was — da
ich dein Herz kenne —, aber nicht, ob du dem Publikum ant
wortest.
Lies doch Eschenmaiers Einleitung in die Natur und
Geschichte,
ein Werkchen voll Werke. Er hat sich kräftig und ritterlich
gegen
Schelling aufrecht, ja hoch erhalten. Du mußt über die
heiligen
Punkte mit ihm einig sein; und nur sein dépit konnte ihn hindern,
dich zu
zitieren. Mich hat es ungemein erquickt; nur ausgenommen
das
idealistische Polarisieren des Universums und die letzte so persön
liche Seite nach so großen Gegenständen.
Deinen letzten Brief, dessen Adresse länger war als der Inhalt,
hab’ ich auch erhalten. Gäb’ es Menschenflügel: er hätte sie
mir
angesetzt.
— — Wie kannst du denn Jahre durchleben, ohne etwas anderes
zu
schreiben als Briefe? In diese zersplittert sich deine Kraft oder
Sehnsucht; aber ich wäre der erste, der diesen Genuß von dir opferte,
wenn ich dem Schreiben für Alle und für Immer damit Vorschub
thäte. Und so müßte jeder deiner Freunde denken. Schreibe d.
h.
diktiere nur wenigstens Fragmente. Du hast leider immer
so selten
und reich geschrieben, daß du auf eine große
Aufmerksamkeit, auch
auf das Abgerissene, Anspruch machen
kannst. —
Eine Bitte an dich, die du mir verzeihen mögest. Lasse doch durch
Untergeordnete deiner Abgeordneten nachfragen, wie und wo ein
gewisser bairischer Unteroffizier
in München lebt, Emanuel Richter
Junior, vom Infanterie-Regiment Kronprinz, von Hauptmanns
Hudrizky Compagnie, auch ob und wo er in französischer
Ge
fangenschaft gewesen. — Vergib!
—
Ich bin und bleibe dein alter sehnsüchtig dich liebender
[ auf eignem Blatt ]
Ich wollte, ich befolgte wenigstens gegen dich meine Regel und
Anweisung bester Antwort — die ich andern gegeben —
nämlich
letztere sogleich nach Empfange der Seelenfrage
zu machen. Denn
die einzige Einwendung dagegen — daß nämlich
der andere folglich
eben so thun würde oder müßte und man
also Posttag nach Posttag
zu schreiben hätte — ist lächerlich
und schon durch dich allein wider
leglich.
—
Dieß war vor einigen Monaten an dich angefangen, so flieg’ es
denn mit!
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/V_226.html)