Von Jean Paul an Friedrich Heinrich Jacobi. Bayreuth, 14. August 1806 bis 15. August 1806.
Brieftext
Cito, citissime.
Morgen, Geliebter, wollt’ ich dir erst schreiben, in
meinen eignen
Angelegenheiten, die durch die
Himmelfahrt des 15ten d. h. der
Hinauffahrt des Himmels anbefohlen wurden. — Aber heute
bekam ich deinen Gegen-Körte (Anti-Götze). (Eine solche
Datums
Wahrhaftigkeit im Innern, obwol unnütz gegen Außen, gehört
sich
doch, wie ich auch an dir sehe, für den Menschen;
denn am Ende ist
man ja zweien Augen verantwortlich,
dem eignen und dem ewigen)
— Gott gebe, daß ich kürzer
werde.
Der Eindruck deines Anti-Götze ist, wie du ihn begehrst, rein männ
lich für dich — nichts ist bemäntelt —
jede Zufälligkeit dargestellt —
dem Gegner jede
Rechtfertigung aus verdrehten Zufälligkeiten da
durch abgeschnitten, daß du sie ihm darbietest — er kann
kein Wort
für sich noch sagen, was du nicht für ihn gesagt —
kurz es fehlt dei
nem Kriege und
Siege nichts als der rechte Feind. — — Dein Feind
lein Koerte ist freilich weniger
ein Nebelstern als ein Stern-Nebel.
Ekel war mir, wie dem tüchtigen markigen Sömmering, die neue
Zeit-Geburt, wie ich leider mehrere Jünglinge auf eigne
Kosten
kenne; jenes Grob- und Weichsein hinter einander, das in den
festen
Blutkuchen und ins Blutwasser zugleich
geronnene Herzens Blut.
Die unvergleichliche Grobheit S. 23
und die eben so freche (durchs
bloße Wolgeboren) S. 29,
empörten mich noch stärker hinter den
folgenden
Brei-Briefen. — Dieß ist aber unsere Jünglings- oder
Deutschlands-Zeit: weich und starr, grob und höflich, wässerig und
eisig. Beides scheinet sie nur. Der feste Stamm der
Einimpfung fehlt,
sowol für die Stärke der Grobheit als für
die Weichheit der
Liebe, für Blume und Ast.
Freilich ists böse, daß du, wie Lessing, dir immer dein Arbeits
Thema vom Zufall diktieren lässest; — es
ist böse; — und eben
darum hier deine Ausarbeitung
von vorn herein viel zu kurz.
Himmel! was wäre von dir über
Selbstlebensbeschreibungen,
Reisebeschreibungen, über de mortuis nil nisi bene zu sagen ge
wesen! Und du hättest es auch gesagt ohne die
Urkunden-Lieferung. —
Da du mich brüderlich über den
Eindruck des Ganzen gefragt: so
antwort’ ich, wenn
ich es nicht schon gethan: — schärfer und zärter
konntest du
nicht zerstören und vorzeigen oder jedes Nein ver
nichten; nur ists der Mühe des Schreibens kaum werth, und
des
Lesens (sobald nicht dein freier Geist spricht) nur
für deine Freunde
ganz, welche dir kein Wort vergeben, das
sie nicht bekommen. —
Doch etwas noch: du machst, wie
ich glaube, zuviel aus zufälligen
Verhältnissen der Menschen
und bist zu französisch-gesellig. Du bist,
wie ich dich errathe, ein unerhörtes Quartett von Hofmann,
Welt
weisen, Dichter und — meinem Friedrich. Vergibs!
Was hätt’ ich zu sagen! Ich werd’ es wol sagen, wenn ich sähe!
Und doch! — Denn ich erinnere mich immer meiner Briefe an
Herder,
ehe ich ihn gesehen.
Über Sturz S. 15 irrest du; denn er zeichnete mit engländischer
Ansicht die bureaux d’esprit der
damaligen Pariser Witz-Direk
tricen, und überhaupt die damaligen
Dichter und Maler so giftig,
als nur ein Engländer versucht
hätte. Und gegen dich — wer hat
denn der Sevigné’s, Maintenon’s etc. Briefe und
Rousseau’s Confes-
sions herausgegeben als Franzosen — und wer hat denn in
England
Pope’s, Swifts Briefe bei Lebzeiten ediert als Engländer?
Folg
lich thust du den Deutschen mit deinem
parziellen Vorwurf Unrecht.
Ich wollte noch — du siehst es aus dem Quartbogen — etwas
über Schellings copula
schriftlich sprechen; (in seinem neuesten
Zusatz der Weltseele „über das Verhältniß des
Realen und Idealen“,
worin er deine ironische und logische
copula wirklich als ernstes,
festes Milchstraßen-Band, kurz als copula spiritualis des
Univer
sums keck durchwebt .......);
aber leider könnt’ es der Fall sein, daß
ich mündlich
sprechen müßte. Ich weiß, daß ich morgen fortfahre
und fortschreibe und setze also heute schon hin
Ich schreibe heitrer als ich bin. Die Welt-Atropos, der Krieg,
drückt wieder die Scheere zu. Ich thue also, lieber
Bruder, die Bitte
des vorigen Jahres an dich mit Vertrauen
deiner Nachsicht; nämlich
die um die Nachricht, ob
ich mit meiner Familie im übersetzten
München ein schlechtes Quartier bekommen kann, oder ob ich
nicht
(um meiner Familie lieber den Zug zu ersparen) vom Könige
einen
Freibrief von der Einquartierung erbitten kann und unter
welcher
Form. Deine zweite Güte wäre die größte
Schnelligkeit der Antwort,
die du mir ja durch Andre
geben kannst. Dasselbe gälte auch, würde
Bayreuth blos
vertauscht, da die Einquartierung dieselbe ist. Es
wäre sogar die Frage, ob man ohne baierischen Paß nur
durch
Baiern könnte. Habe Dank für deine Erfüllung der neulichen
Bitte.
Lebe wol, verzeih’ den gestrigen Brief und stehe
mir bei, Heinrich!
J. P. F. Richter
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/V_233.html)