Von Jean Paul an Johann Ernst Wagner. Bayreuth, 28. September 1807.
Brieftext
Unter allen Briefschreibern, die jetzt auf der Erde an einander
schreiben, bin ich ohne Frage der schlimmste; und ich sollte wie die
72 päbstlichen Schreiber den Namen Abbreviator haben; denn
eine
stärkere Abbreviatur gibts nicht als — völliges
Schweigen. Noch
dazu warf mir jeden Tag Ihr Manuskript, das
ich sogleich und so
froh gelesen, meine Verstockung vor und
bekehrte mich doch nicht
eher als heute. Aber wahrlich! die
bauende Anarchie der Politik um
uns her wirft sich
zuletzt auch in die Studier-Mansarden.
Ich bin sehr begierig auf Ihre angekündigte „Nachhausereise“.
Aber schmerzlich war (und wär) es mir, wenn Sie das
einfältigste
Versprechen — was eben sein eignes Gegentheil
ist — halten wollten,
das Sie je gegeben, nämlich Ihre ganze
Schriftstellerei auf 3 Festtags
Werke, wie eine Arie à trois notes zu beschränken. Wenige
Autoren,
die so frei, eben so wol an sich als an die Leser schrieben,
wurden
noch so gut von Kampfparteien aufgenommen als Sie.
Mögen
Sie mir erfreulichere Nachrichten von Ihrem Körper
geben können,
als ich leider bekommen! Freilich sind
Rückenmark und Gehirnmark
im Antagonismus und jenes muß
die Ausgaben dieses tragen. Indeß
bin ich durch meine eigne
Lebensgeschichte gewiß, daß jeder nur so
viel krank ist als er
will — sobald er Leibes-Memoires führt —
wär’ es auch nur in der Memorie — und sobald er soviel
Arznei
kunde gelernt, als er braucht,
um der Leibmedikus eines einzigen
Leibes zu werden. So
ist z. B. einem Kopfe, und überhaupt einem
homo emunctae naris (solcher Nase als Präsident Heim hat) kein
Katarrh zu vergeben, und er, der so leicht lange Nasen
auszutheilen
vermag, sollte sich am wenigsten mit einer
fließenden behaften.
Ich hingegen habe meine sonstige
halbmonatliche Migraine schon
auf Menses herabgebracht, aber ohne jährliche 12 Halbtöne von
Schmerzen; denn mein Laudanum Sydenh.
(für dessen Rath dem
D. Jahn ewiger Dank in meiner künftigen
Selbst-Lebensbeschrei
bung gesagt werden soll) langt ungleich der
preussischen Macht, allzeit
früher an als die Übermacht.
Mein Junge ist ein Ries’chen; die Kleinste, Odilia, eine Fee;
alles ist gesund bis zur Mutter hinauf. Meine drei
Kinder waren
Mitarbeiter an der Levana, über welche ich Ihr und Heims
Urtheil
zu haben wünschte. Apropos! In Zschokke’s Miszellen steht
ein
Urtheil darüber von einem E ..., der mich, meine Frau und die
vor
treffliche Heim kennen will. Fragen Sie
diese doch, wer unter ihren
E-Bekannten ein Hofmeister gewesen; denn dieser
scheint er mir zu
sein, oder gewesen zu sein.
Unsere unvergeßliche Heim hat im Frühling einen köstlichen
Brief voll Herz und Kraft und Schmuck an meine Frau
geschrieben;
es fehlte wenig, so antwortete ich sonst brummendes Unthier ihr
selber und verkehrte
mich in ein Schoßthierchen. Ich wollte, ich
könnte ihr jetzt die Hand drücken und ihrem alten Schelling
dazu.
Flammte neuer Krieg von der östreichischen Gränze herüber:
so
zög’ ich vielleicht mit Familie und Bier wieder nach
Meiningen, vor
der Hand und vor der Faust.
Noch in diesem Jahre kommt in München bei Scherer ein
lustiges Büchlein von mir mit sehr ernsten Noten heraus:
Des
Feldpredigers Attila Schmelzle Reise nach Flätz; sammt
der Beichte
des Teufels bei einem Staatsmanne (welche letzte von der
Zensur
des Morgenblattes nicht angenommen worden). Der
Feldprediger
— ein ewig laufender Hase oder Jude — erzählt seine
Flucht-Reise,
um zu beweisen, daß er eine überkühne englische Dogge, wenn
nicht
das englische Wappen selber sei. Viele mußten darüber lachen,
die
es gelesen, z. B. ich.
Grüßen Sie mir jetzt meine Menschen: Zwei hab’ ich schon ge
nannt; dann meinen prächtigen Reiter und
Autor Heim, dann beide
Schwendler, den langen Regierungsrath Donnop,
Panzerbieter
und Jahn. Leben Sie froh und ahmen Sie mich nicht nach in
mei
nem verruchten Schweigen, sondern
schreiben Sie, sobald Sie ge
lesen.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/V_412.html)