Von Jean Paul an Johann Ernst Wagner. Bayreuth, 2. Mai 1806.
Brieftext
An Meiningen denk’ ich hier öfter als sonst in Meiningen selber.
Ihr letzter Brief über Ihre Krankheit hat mich um so mehr
ge
schmerzt, da ich mir jetzt Ihre
freiere Laufbahn aus dem adelichen
Burgverließ in die
Kabinets- und Bücherwelt hinaus wie unter
lauter Blütenzweigen
hingezogen gedacht. Ich glaube zum Glück
wenig an Aerzte,
nämlich an beste sogar, und heile, so wie mich
ohnehin, meistens
meine Kinder ohne einen. So wie Sie lebten und
vollends leben, ist mir Ihre Krankheit unbegreiflich und
unmöglich
ihr Wachsen.
Mit einem wiederholten Vergnügen las ich den köstlichen Anfang
Ihrer „Maler“ neulich wieder im Frauen-Journal. Ich ersuche
Sie meinet- und meiner Frau wegen, mir das Buch sogleich
nach
dem Abdruck auf 14 Tage zu leihen.
In jedem Falle ist Ihr erster Titel „Briefe aus dem Liebensteiner
Bade“, sobald vollends ein Beiwort („ästhetische,
philosophische,
romantische“ — was weiß ich, da ich den
Inhalt noch nicht kenne)
dazu kommt, besser als jener
wasser-ebene „Reisen eines Menschen“.
Je individueller, je
besser. Hätt’ ich das Buch gelesen, so wollt’ ich
Ihnen 10 der
seltsamsten Titel zur Auswahl zufertigen.
Ich war nie so froh als über diese Ostermesse, blos weil ich endlich
einmal nicht da verkaufe oder verkauft werde. Aber zur
Michaelis
Messe erscheint meine
Erziehungslehre bei Vieweg in 2 Bändchen —
ein Werk langer Anstrengungen.
Ich bin gegen meine und fremde Manuskripte strenger als gegen
deren Abdrücke — vielleicht weil diese nun versteinern gegen
jede
Verbesserung; daher wundere ich mich, wenn ich jetzt
gedruckte
Proben aus Ihren Büchern lese, daß ich sie nicht
noch weit mehr
gelobt.
Mich und meine Frau würde eine Einfahrt ins gutmüthige freund
liche Meiningen, dem wir so schöne Stunden und Menschen ver
danken, innigst erquicken; und kommen wird
diese Erquickung; nur
hat das Schicksal sie noch nicht
datiert.
Nach Gotha wollt’ ich nie ziehen, nur flüchten. Der Herzog
handelt
doch nicht immer so, wie er sollte; er mag denn herrschen und
spaßen!
Meinen alten herrlichen geistigen Vulkanisten — der nur in der
geologischen Theorie ein Neptunist ist —, den Präsidenten Heim,
sollen Sie mir vor allen grüßen und ihm so viele schöne Tage
wün
schen, als er aufbrausende hat.
Welcher Gewinn für die Welt, wär’
er 20 Jahr alt! Und dann
grüßen Sie mir auch etc. Leben Sie recht
wol!
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/V_215.html)