Von Jean Paul an Renate Otto. Bayreuth, 18. Januar 1808.
Brieftext
Gute Renata! Ich will auch ein Wort zu Ihnen sagen, nicht des
Trostes sondern der Theilnahme. Der beste Trost ist, man
weint,
so lange man kann. Man läßt die frohen
Stunden der geliebten
Seele noch einmal vorüberziehen, zumal
wenn man sie selber ge
geben hat — und man
zählt die Wolken der Zukunft. Sie dürfen
sagen, daß Sie Ihre
Mutter beglückt haben durch Ihre Liebe und
selber durch Ihr
Schicksal. Man hat nur zwei Ursachen oder zwei
Zeiten,
das Leben zu wünschen. Die erste ist die poetische unersetzliche
Jugend-Zeit, wo man seine schönen Träume genießt — die zweite
ist die Zeit, wo man wirken will. Auch diese letzte Zeit
hatte Ihre
gute Mutter überlebt; sie hatte ihren Wirkungskreis
schön ge
schlossen und durfte nun ausruhen.
Dieß kann man aber in unsern
Zeiten über der Erde so leicht nicht. Wir hingegen müssen ein
greifen in die Zukunft für unsere Kinder und rüstig handeln,
so
lang es geht. Je schlimmer die Zeiten, desto besser müssen
die Eltern
sein. — Ich werde, wenn ich einmal nach Hof komme,
mit nassen
Augen das ausgeleerte Haus ansehen, das ich nicht mehr
betreten
mag. Gott, Ihr Mann und Ihre Kinder trösten
Sie!
Ich grüße Euch alle herzlich.
Auch dank’ ich Ihrem Manne innig für seine übergütige Er
füllung meiner Bitte.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/V_464.html)