Von Jean Paul an Johann Ernst Wagner. Bayreuth, 28. April 1808.

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Brieftext

Bayreuth d. 28 Apr. 1808

Einige Entschuldigung meines Schweigens wird weiter unten
kommen. Am besten wär’ ich freilich sogleich meiner ersten Be
geisterung für Ihr Buch gefolgt, das Ihr bestes ist. Seine Lebens
frische — die Gluth der Szenen — die Schärfe der Karaktere —
besonders die seltne Kunst, weibliche Körper scharf zu malen — ein
schonender Geschmack im Komischen etc., alle diese Schönheiten
wirken mächtig zusammen und besiegen den etwas lockern, seine
eigne Macht zu sehr zertheilenden Plan.


Über die Kunstschule aber bin ich weder Ihrer Hoffnung noch
Meinung ganz. Was konnt’ ich überhaupt im Morgenblatt sagen,
was nicht noch mehr Leser aus der Levana gewußt hätten? —
Präsident v. Wangenheim in Stuttgardt schrieb auf meine und Ihre
Veranlassung sogleich an den Etatsrath Joh. v. Müller in Kassel,
um anzuwerben. Nur fürcht’ ich, die jetzige noch kriegsbedrohte
Zeit nimmt keinen kräftigen Eindruck an; der erste aber ist der ent
scheidende. Auch fehlt für die Deutschen kamerale Sicherheit und
benannte Autorität für ihre Gelder. Wo vollends deren genug her
kommen sollen, um Genies — als ob diese sogleich wollten — und
Kunstwerke anzukaufen, begreif’ ich nicht. — Für Dichter ist Ihre

Kunstschule nicht; diese muß das Leben durcharbeiten. Mehre
Dichter müssen wie Sonnen von einander geschieden werden durch
Erden; sonst kommt die neuere elende Stofflosigkeit und Einförmig
keit heraus. Für andere Künste gilt Ihr Plan, wäre der Maler und
Architekt mit Musterwerken und Hülfsmitteln zu versorgen, mehr. —
Warten Sie wenigstens, eh Sie die Umläufe anfangen, die öffent
lichen Urtheile ab, welche Sie dann beilegen könnten. Überhaupt
sollte Ihr Plan isoliert vom Buche überall umlaufen. — Denken
Sie nur an die vieljährige Kollekte zu Luthers Denkmal; und doch
sind die Deutschen noch immer mehr religiös als kunstliebend. Ist
Ihr Plan treffend: so wird irgend eine spätere glücklichere Zeit ihn
doch aufgreifen und den Stifter segnen. Um aber alles zu thun,
setz’ ich Ihnen folgende Adressen her, bei denen Sie sich auf mich be
rufen können, da es lauter Freunde von mir sind etc. — Ich hätte
noch viel zu schreiben; aber leider hab’ ich noch mehr und so viel an
andere zu schreiben. Leben Sie wol!


J. P. F. Richter

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 5. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1961.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

K: Wagner in Mein. 28 Apr. J 1: Mosengeil Nr. 8×. *J 2: Denkw. 3,164×. B: IV. Abt., V, Nr. 162. A: IV. Abt., VI, Nr. 54. 211,17 wird] danach vielleicht J 1 21 seltene J 1 23 lockeren J 1 25 „Kunstschule“ J 2 28 Präsident bis 30 anzuwerben.] fehlt J 1 30 Nur fürcht’ ich] Ich befürchte J 1 noch] fehlt J 1 31 erste J 1 32 Deutschen kamerale] teutschen Kenner alle J 1 34 wollten? J 1 212,1 Mehre] so K J 2, Mehrere J 1 4 andre J 1 8 isolirt vom Buche J 1 umlaufen] so J 1, einlaufen J 2 10 Teutschen J 1 11 irgend] fehlt J 1 12 Um bis 14 sind etc.] so J 1, fehlt J 2 14 Ich bis 17 Richter] fehlt J 1

Wagner hatte den ersten Band seiner „Reisen aus der Fremde in die Heimat“ (1808) geschickt, in den er seinen Plan einer Kunstakademie (vgl. Bd. IV, zu Nr. 303) eingefügt hatte, und um nunmehrige Angabe der versprochenen Adressen (vgl. zu Nr. 422) und um ein freundliches Wort über die Sache im Morgenblatt gebeten. 211, 28 Wangenheim hatte am 3. April 1808 an Emanuel geschrieben: „Er [Jean Paul] wurde sogar nachgeschlagen in seiner Levana, als Protector des damals noch ungedruckten Plans zu einer deutschen Kunstschule. Den gedruckten und die heißen Wünsche seines Schöpfers habe ich an Joh. Müller geschickt. Ich thue alles für heiße Wünsche solcher Menschen bei schwacher Hoffnung.“ 212, 9 Vgl. Jean Pauls Aufsatz „Wünsche für Luthers Denkmal“ (I. Abt., XIII, 293).

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/V_518.html)