Von Jean Paul an Auguste Sophie Henriette Schwendler. Bayreuth, 28. April 1808.

Zum TEI/XML DokumentZur originalen Webseite

Brieftext

Bayreuth d. 28. Apr. 1808 .

„Verzeihende Freundin!“

Wenn Sie diesen wenn nicht fürstlichen, doch christlichen Titel
ausschlagen: so bin ich nicht im Stande, noch drei Worte zu sagen,
sondern ich schweige fort wie leider ich


  • Sünder —

  • Verdam[m]ter —
  • Freund —

  • Autor —

  • bisher gethan. Doch als letzterer hab’ ich in meinen starken
    Winterarbeiten (3 auf einmal kommen zu Michaelis) einige Ent
    schuldigung so wie in unzähligen Geschäfts- und Bettel-Briefen, die
    ich alle zu beantworten hatte.


    Ihr Brief war ein gebender. Er führte mich wieder in unsere
    freundlichen Umgebungen und an Ihre Seite zurück. Mögen Sie
    doch mitten im Sturm-Meer der Zeit eine recht feste grüne Insel
    behalten! — Rechte süße Seelen-Ruhe und Plane für die fernere
    Zukunft erlaubt das Erd- und Europas-Beben nicht, das noch immer
    unter unsern Füßen gräbt und lädt. Ich indeß mache doch meinen alten
    Spaß in Büchern fort; sogar im Leben wie Sie oft belacht; nur zu
    weilen bin ich ernsthaft, z. B. wenn ich mein Eichhörnchen auf der
    linken Achsel in öffentlichen Gesellschaften sitzen habe, oder gar wie
    neulich, da ich Gevatter stand, in der Tasche stecken. Denn wäre das
    Thier, während ich den Pathen auf den Armen hielt, plötzlich heraus
    und auf die Achsel gekrochen: es hätte uns alle in der heiligen Hand
    lung gestört. — —


    Freuen Sie sich über Amanda’s Klarheit und Ruhe; ist nur Güte
    des Herzens da, so braucht es keinen empfindsamen Sturm und
    Drang desselben, der zwar anfänglich am Mädchen gefällt aber in
    der Ehe das Doppel-Glück wegweht. Ich grüße sie herzlich.


    Meinen Dank an Ihre wolwollende Antonie; ich sehne mich recht
    nach ihrer Erscheinung wie nach Ihrer und freue mich auf Pfingsten.


    Ich grüße Ihren Gatten und drei Heims und Panzerbieter.

    Es geh’ euch allen wol und jeder ahme mich nach, der wieder den
    Zaunkönig nachahmt, welcher nie mehr singt und springt als im
    Winter bei dem aller verdammtesten Wetter!


    Ihr
    Jean Paul Fr. Richter

    Textgrundlage

    Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 5. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1961.

    Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

    H: zuletzt Kat. 680 Stargardt (November 2004), Nr. 257; ehem. Slg. Apelt, Zittau. 3½ S. 8°. K: Die Schwendler in Mein. 28 Apr. i: Denkw. 3,163 (28. Okt.). B: IV. Abt., V, Nr. 168. 213,1 indeß] aus indessen H 16 den] dem K 17 welcher] aus der H 18 verdammtesten] aus elendsten H

    Henriette hatte in B von ihren Töchtern Amanda und Pauline und von ihrer seit einem halben Jahre bei ihr lebenden jüngeren unverheirateten Schwester Antonie (v. Mützschefahl) sowie von ihrem Meininger Bekanntenkreis geplaudert und in Aussicht gestellt, daß sie Pfingsten mit Antonie nach Bayreuth kommen wolle. Am 19. Mai schreibt sie an Karoline Richter: „Der 1. Mai brachte mir Deine und Richters langersehnte Antwort“ und kündigt ihre Ankunft in Bayreuth zum Pfingstsonnabend, 4. Juni, an. 212, 29 3 Winterarbeiten: Schmelzle, Katzenberger, Fibel. 213, 17f. Zaunkönig: vgl. I. Abt., X, 203,3f.

    How to cite

    Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/V_519.html)