Von Jean Paul an Auguste Schlichtegroll. Bayreuth, 27. Oktober 1808.
Brieftext
Vor der Ehe schreiben Frauen fast zu viele und lange Briefe; in
ihr fast nur Billets und nichts Langes, sie müßten denn etwas zu
waschen haben, Köpfe oder Weißzeug. Würde in München nicht
zuweilen etwas gedruckt: so hielte ichs für das 2te
Hercul[anum],
das erst ans Tageslicht zu graben wäre. — Ich wollte, ich
wäre bei
Ihnen und Sie lachten mich aus und gäben mir dabei
ein freund
liches Wort und einen noch
schöneren Blick.
Und doch wird eine solche Sünderin noch gehoben durch einen
Sünder, der nicht einmal auf vergangne Briefe — geschweige,
wie
ich doch haben will, auf zukünftige — Antwort gibt. Durch H. [v.
Seckendorff]
sandt’ ich ihm einen langen Brief. Ihnen gibt er
gewis eine Antwort; und diese geben Sie mir mit der Ihrigen:
so
hab’ ich ein Stückchen Nachsommer. — Meine Kinder nehmen
zu
an Weisheit und Verstand und Leib; beim Vater ist
dieß, letztern
ausgenommen, nicht wol mehr möglich. — Lassen
Sie mich immer
noch wie ein altes Familienportrait in irgend
einem Winkelchen
Ihrer Gehirn- oder Herzkammern angelehnt
stehen. Ihr Bild hin
gegen nimmt in meinen
gar zu viel Platz weg.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/V_585.html)