Von Jean Paul an Christian Otto. Weimar, 4. April 1799 bis 5. April 1799.

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Brieftext


Weimar d. 4 Apr. 99 [Donnerstag].

Hier, mein Bruder, hast du den 1. Band des Titans, dem nur noch
2 wichtige, bald nachkommende Kapitel fehlen. Ein jeder Autor hat
nur die Empfindung und Einsicht der Theile, nie des Ganzen. Mir ist die
deinige, sogar als Sporn, nöthig. Die lezten Theile würd’ ich dir
kühner geben; aber den ersten, der erst die Kuhhaut zur Stadt-Markung
ausschneidet und der in Verhältnis des Hesperus eigentlich nur dessen
3 erste Kapitel enthält, bring ich blöde. Sage mir blos, ich bitte dich,
den reinen hellen Eindruk, den es auf dich in Vergleichung der frühern
N B Werke macht. Am Mitwoch schreibe mir den Empfang und die
Wirkung des etwannigen Gelesenen (hebe nichts auf, jezt bekomst du
ohnehin „J. P. Briefe“) Ich habe beinahe das Publikum durch meine
Avisos gezwungen zu glauben, der Titan sei besser als der Hesperus,
indes er nur anders (höchstens besser im Plane) sein sol und kan. Da
die Geschichte in den höhern Ständen regiert: so ist mir die Fixleinsche
und Siebenkäsische Individualität genommen, wenigstens für die
bürgerlichen Leser, die zum Glük den kleinern Theil ausmachen. — Ich
hefte nicht (wiewohl ich dirs schrieb) eine bürgerliche Fixleinsche
Parallel-Geschichte daran — das Werk würde zu gros (sie komt apart
in die Welt) und die Digressionen wären zum T[eufel], sondern es bleibt
bei den Supplementbändgen vol Spas. — Oft wird leider, wegen
meiner Namen-Wählerei, Romeiro stat Don Gaspard etc. stehen;
streich es aus wie alle Errata. — Ich brauche bei deiner ersten Lektüre
(schenkst du ihm anders eine 2te) kein räsonnierendes Urtheil, sondern
nur eines ohne rationes dec[idendi] et d[ubitandi?]. Ach warum
hab ich nicht alle Theile auf einmal fertig und zu präsentieren!

d. 5. Ap.

Nicht die Hälfte meines Volks konte im engen 1 Band zum Agieren
kommen; indes wil ich mich auch nicht übereilen. Sage mir doch
Spasses halber deine Konjekturen über die künftige Geschichte; wiewohl
es unmöglich ist, nur 2 rechte zu machen. —

[ am Rande: Jezt da ich viel auf einmal in ihm wiedergelesen:
freuet es mich daß ich noch jung darin bin und flamme und donnere.]

Warum hatten wir diese schönen Tage nicht in Jena? Ich fühlte
mich durch die Enge unsers Sehens damals gedrükt und verworren;
ich hatte so viel zu hören und zu sagen! Man wirft mirs hier vor, daß
ich dich nicht her gezwungen. Die Kalb liebt dich herzlich; auch Amöne
gefält ihr ganz. Aber dieser scheint noch wenig zu gefallen; sie sieht
und hört eine neue Welt mit etwas Höferischen Augen und Ohren.
Auf ihre Moralität kan sie hier stolz werden, aber nicht auf ihr Wissen,
da sie hier eine weibliche Theilnahme an Gegenständen des Gesprächs
findet, die ihr fremd ist. —

Lebe seelig, mein Geliebter!

Lies doch in der Meusels Litteraturzeitung die Rezension über mich
im Jenner.

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 3. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1959.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Berlin JP. 4 S. 8°. K: Otto d. 5 Apr. J 1: Otto 3,63. J 2: NerrlichNr. 58 A: IV. Abt., III.1, Nr. 187. 174, 14 4] aus 5[?] H 16 nachkommende] aus nachfolg[ende] H 23 Mitwoch] aus Sontage H 24 etwannigen] nachtr. H 29 für nachtr. H 32 Parallel-] nachtr. H 34 den] aus einem H 175,14 durch] davor gestr. wegen H 18 und Ohren] nachtr. H 20 weibliche] nachtr. H 21 findet] aus sieht H

Der Brief mit den ersten sechs Jobelperioden des Titan kam am 14. Aprilan. 174, 19 f. Vgl. I. Abt., I, 39,37f. und IX, 472,16f. 31f. Vgl. 104, 7 –9. 175, 23 f. Die von J.G. Meusel herausgegebene Erlanger Literaturzeitungbrachte in Nr. 13 v. 18. Jan. 1799 eine Rezension der Palingenesien.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_237.html)