Von Jean Paul an Johann Gottfried von Herder. Weimar, 25. Februar 1800.

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Brieftext

[ Weimar, 25. Febr. 1800. Fastnachtsdienstag]

Nicht nur Philosophen, sondern auch kritische Künstler werden sich,
bereichert, an Ihrem Werke — besonders an diesen Abschnitten —
erfreuen; wie oft durch eine Schlacht aus einem trüben Himmel ein
blauer wurde, so ist hier neben dem Sieg noch ein heller Tag
gewonnen. Am vortrefl[ichsten] ist das Neue über die Ideale Bl. 26,
27, 28; besonders ist N. 2 Bl. 27., so wohl in Darstellung als Inhalt
musterhaft; und ein Künstler findet doch noch mehr darin als ich — Und
so das über die schönen Künste Bl. 18, 19, 20, 21. und der 6te Ab
schnit. Die Professions-Philosophen werden hier wegen ihrer un
artistischen Natur und Kentnis eigentliche im Finstern urthelnde Areo
pagiten sein, wenn sie nicht so einsichtig sind, daß sie es machen wie ich,
nämlich nur solche Noten wie folgende.

Bl. 13.a.wird der Sezer nicht wissen, wohin er die Note b sezen sol.
— Und unten b ist „der sinlose Gaffer“ nicht ausgestrichen. Diese
Note ist zugleich ein Beweis der unglaublichen Flüchtigkeit, wo
mit ich leider alles lese. —

Die historische und genetische Erklärung des Spiels befriedigt
volendet.

Bl. 14.d.Ist „Es“ verschrieben stat er. Fast ists Schade, daß Sie
diese herlichste Ode Pindars nur ausgestrichen ganz hin
sezten.

Bl. 18.a.Nach der Grammatik und zur Rettung Kants mus das unter
strichne sie nicht auf Begriffe sondern auf Dinge gehen.

b.Nach der Konstrukzion geht „wachend“ auf Bild, und
doch sol es auf Augen gehen.

c.Hier wird der Sezer versezen.

Bl. 19.d.mit stummem Schmerz.“ Ihr Styl ist ein tönender Mem
non vor Apollo; darum bemerkt man die Pause.

e.Man fässet nicht recht, in wiefern dieses hieher komme.

Bl. 21.e.Kant ist mir nie widriger als dicht an Ihnen, eine Osteologie
neben einem lebendigen Menschen. Doch wiederfahr’ ihm Recht:
er behauptet hier nicht, wie ich glaube, was widerlegt wird; denn
er sagt, der Maler schildert, der Gärtner versezt die Natur oder
ihre Produkte.

Bl. 24.a.„Schwindsüchte“ verschrieben.

Bl. 27.d.steht in der herlichen Stelle nach „einem“ jeden.

Bl. 28.f.sol wahrscheinlich der weg.

Bl. 39.g.Diese Anmerkung scheint eher dem Humor als der Würde
zuzusagen.

h.Lassen Sie dem alten Man diese seine lange Anmerkung, die
schwerlich jemand auf ihn anwenden wird, da er eben in lauter
Definizionen und gleichsam von der Anatomiertafel stat von der
Estafel lebt.

Bl. 40.i.Herr Verstand“

k.„hönen“ verschrieben.

Bl. 42.l.Ich könt’ es in einer Satire sagen, der Metakritiker aber?
— So werden die kantischen Leute irgendwo in diesem Abschnitte
Goldfinders genant; der Ausdruk ist nicht nur stark, sondern auch
entweder von Abt oder Haman schon gebraucht.

Bl. 45.m.Der alte Man sagt — wenigstens soviel hier zu lesen ist —
wie es scheint, nur daß wir in die physischen Schönheiten mo
ralische Reflexe bringen, aber nicht, daß sie uns blos dieser Reflexe
wegen gefallen; und jenes mit Recht, da ja die Natur in einer
ewigen Menschwerdung vor uns steht — was Sie selber schon
genug erwiesen haben.

Bl. 12.unten auf der andern Seite: J. P. — Diese Stelle bedarf gar
keiner Verbesserung; ich fand sie vortreflich. — Aber ernsthaft!
Ich erschrak freudig über diesen Lorbeer, der nicht auf dem Grabe
sondern auf dem Parnas eines Virgils mir in die Hände wuchs.
Ob ich gleich in diesem Quartet oder 4 poetischen Jahrszeiten nur
den Winter vorstelle: so dank’ ich doch herzlich dem gütigen Freunde
der mich so unerwartet und so liebend-freigebig in diesen Zyklus
eingereihet. —

Und mit tausend andern sag ich den gemeinschaftlichen Dank
für alles was ich in dieser Ihrer jüngsten Welt gelernt und genossen
habe.

R.

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 3. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1959.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Berlin acc. ms. 1900. 198 (derzeit BJK). 3⅔ S. 4°. K: Herder Fastnacht. J: Herders NachlaßNr. 28× (Winter 1799/1800). B: IV. Abt., III.1, Nr. 324. 294,27 oft] nachtr. H 33 werden] aus sind aus haben H 35 sein] nachtr. H 295,4 alles] nachtr. H 10 mus] aus solte H 19 wiederfahr’ bis 20 behauptet] aus behauptet er H 20 wie ich glaube] nachtr. H 30 stat] nicht K 35 die kantischen] aus diese H 296,4 und jenes mit Recht,] nachtr. H 5 steht] aus ist H 13 -freigebig] nachtr. H

Herder hatte den Rest des Kalligone-Manuskripts geschickt mit derBitte, „etwas weniger mitleidig gegen Kant zu sein“; mit dem Abschnittüber das Ideal, den Jean Paul schon gelesen habe, solle er sich nicht aufhalten; die Entwicklung des Ideals selbst sei neu. Die Stellen, auf die sichJean Paul bezieht, finden sich in dem Erstdruck von 1800 Bd. 2, S. 78ff.(Erklärung des Spiels), 95 (Pindar), 124 (Begriffe von Dingen), 126 („oftschwebt den wachend-Träumenden ihr Bild vor Augen“), 135 („mitstummen Schmerz“), 142 (Malerei und Gärtnerei), Bd. 3, S. 165 (Schwindsüchtige), Bd. 2, S. 210 (Kants Anmerkung über Genie in wissenschaftlichen Untersuchungen), 212 („den Herrn Verstand“), 213 („höheren“),Bd. 3, S. 259 (Kant: das Schöne gefällt nur als Symbol des Sittlichguten),Bd. 2, S. 73: „Welche geheimste Kammer des Herzens und Geistes bliebRichardsons, Fieldings, Sternes, Friedrich Richters Romanen verschlossen?“

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_405.html)