Eintrag in ein Stammbuch. Von Jean Paul an Dorothea Weiße. Leipzig, 28. Januar 1798.
Brieftext
Ich bin froh, schöne Freundin, daß ich Ihr Stambuch zu lange
behielt. Denn noch die vorige Woche hätt’ ich — um Sie an
den
Kaffeetrinker und an das Wassertrinken zugleich zu
erinnern — nichts
gehabt als diese zwei Sentenzen:
Die weibliche Seele und die Harmonika sind nur zu Adagios
und sanften Stücken geschaffen, nicht zu Prestos und
Murkis
— und jedes Mädgen darf sich verstellen
und verbergen, das
nichts zu verbergen hat als ihre
Tugenden, wie die Bienen
immer ihren gläsernen Bienenkorb verkütten mögen, da sie doch
darin nichts machen als Honig.
Aber heut bekomm’ ich ein schöneres Recht auf Ihre Erinnerung,
da ich jezt das Stambuch zu dem Feste tragen darf, das wir alle über
den Neujahrstag Ihres geliebten und verehrten Vaters feiern,
den
die drei Grazien, Weisheit, Liebe und Freude durch sein
Leben be
gleiteten, und der sie in fremdes
einführte. O möge der schimmernde
Hesperus seines sanften edlen
Lebens noch lange über uns stehen und
nur langsam aus unserm
Himmel in den höhern ziehen! — Und mit
diesen heissen Wünschen
für sein Wohl, hab’ ich ja zugleich die schön
sten für Ihres gethan. —
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_47.html)