Von Jean Paul an Renate Otto. Leipzig, 30. Januar 1798.
Brieftext
Meine gute Renate! Das ist in diesem Jahre das erste Wort, das
ich zu meiner lieben unvergeslichen Freundin sage. Ach ich möchte
lieber Wünsche erfüllen als thun. Ich hoffe, Sie erklären mein
Schwei
gen aus den Gründen, woraus ich
Ihres rechtfertige — aus der Er
ziehung
der Kinder, die bei mir von einer Messe zur andern getauft
werden. Ich sehne mich ohne Maas, recht viele bestimte
Nachrichten
von Ihrem Leben — meinem Christoph — meiner
Paulline — ihrer
Doublette — von Ihren Freuden und von Freunden und
sogar — (aber
das Schiksal nehm’ Ihnen lieber den Stof!) von Ihren Leiden
zu
hören. — Jeden Ihrer schönen Abende solten Sie mir auf
dem Prä
sentierteller des Papiers
hereinreichen. So viele Wellen und Wirbel
auch um mich laufen
und mich fassen: so lassen mir doch alle das Herz,
worin das
Bild meiner guten ewig verwandten Renate unentfärbet
steht! —
Ich weis nicht, ob Sie viel oder nichts von meinen vielfachen
Verstrickungen und Entwickelungen erfahren: doch kan ich sie eher
2 mal erzählen als 2 mal schreiben. — Schreiben Sie unserem
Bruder
Emanuel, daß der Bruder so oft an ihn denke als
die Schwester, und
daß ausser mir niemand sich durstiger nach seiner Erscheinung
sehne als
Oertel.
Grüssen Sie mir auch Ihre freundlichen Eltern, denen ich so helle,
frohe. Stunden danke und Ihre Gegenwart.
Ach Renate, wenn ich mir Sie jezt länger dächte — Ihr Stillesein —
Ihre Erinnerungen — Ihren mütterlichen Fleis — und die Augen,
die
nicht immer trocken bleiben: so würd’ es mich zu tief
bewegen, und die
Stunde, wo wir uns wieder an die Herzen
fallen, würde mir zu langsam
kommen. Ach ich werde desto
weicher, je glüklicher ich hier werde!
Wenn ich komme,
Renate, werd’ ich dir nie wehe thun als dan, wenn
ich —
gehe.
Ach die Nebel des Lebens fallen als Thränentropfen — aber dan
geht eine Sonne auf, die schimmernde Thautropfen daraus macht!
Lebe ruhig, ruhig, meine immer Geliebte!
Neulich in der Oper der beiden Antone sah ich Ihre ganze
Bay
reuther Vergangenheit rührend
vorübergehen.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_49.html)