Von Jean Paul an Josephine von Sydow. Berlin, 10. Juni 1800.
Brieftext
Meine Theuere! Noch immer umziehen mich die hiesigen
Staubwolken, in denen aber für mich Aurorens Farben spielen.
Die Musik — das Schauspiel und Ihr Geschlecht halten
mich
fest. Ich habe das grosse Sanssouci und die schöne
Königin
gesehen und bei ihr gegessen; warum hat sie zwei Thronen,
da
ihr zum Herschen an dem Thron der Schönheit genug
sein
koente? —
Aber alle diese Freuden, diese Gebüsche von Rosenblaettern
verbauen mir doch nicht die Aussicht in den stillen
Landsiz, wo
meine Josephine meiner denkt und wo unsere schoenen
Stunden
in ihrem treuen holden Auge wiederglaenzen. Ich
achte und liebe
Sie sehr, seit ich Sie gesehen. Diese Festigkeit und Weichheit
und Schonung, diese helle warme Liebe und diese Naivetät,
dieses
Feuer und diese Vernunft schliessen sich in
Ihrem Wesen in
einem seltenen Bund zusammen. Wir werden
uns wiedersehen.
Berlin kleidet sich vor mir jeden Tag
immer reizender an, so daß
ich hier bliebe, hätt’ ich meine Koffer hier; und mein
Entschlus
wird immer staerker, hieher zu ziehen. — Und
dan öfnet sich
uns der blaue Himmel mit seinen Sternen
noch oft.
Blosse Gelehrte meid’ ich; darum find ich hier keinen Neid,
sondern nur einen zu warmen Enthusiasmus für mich, der
mich
nicht auf mich sondern auf die Menschheit stolz macht, die ihn
zu haben vermag. Wie erquikt es das Herz, zu sehen, daß
der
selbe Seufzer nach dem
Überirdischen, der meines hebt, in tau
send Herzen aufsteigt! und daß wir alle einen gemeinschaftlichen
Himmel in uns tragen! —
Vergieb mir, Treue, daß ich in diesem Tumulte, der mich blos
zwischen Diners und Soupers hin und her treibt, dir so
kurz
schreibe; und vergieb es, wenn ich in Weimar, wo
ich eine seit
5 Wochen angehäufte Brief-Masse zu beantworten und
meine
Schriftstellerei nachzuholen habe, lange
schweige. Unsere Wärme
komt von keiner Glutkohle, die zerbröckelt und ausbrent,
sondern
von einer höhern Sonne, die uns mit einem
warmen Lebenstage
umgiebt. Wir koennen nicht mehr
zweifeln, wir müssen uns
ewig trauen und uns nicht
veraendern. Ich glaube dir wie meinem
Gewissen, Josephine;
und liebe dich wie das was an mir gut ist.
Lebe wohl!
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/III_475.html)