Von Jean Paul an Emanuel. Hof, 2. April 1796.

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Brieftext

Hof d. 2 Apr. 1796.

Mein Emanuel,

Ich kan Ihnen kein Stilschweigen vorwerfen, weil ich sonst erst
meines retten müste. Mir ist als säh’ ich Ihr Angesicht erst durch
30 Schleier von Monaten oder Meilen. Ich sehne mich recht nach
einer Zeile von Ihnen. Ich habe beinahe jezt nichts in der Hand als die
Feder: in 4 Wochen bekommen Sie wieder ein Buch betitelt: „Jean
Paul’
s biographische Belustigungen unter der Gehirnschaale einer
Riesin.“ — Nach der Volendung der Blumenstücke und der Be
lustigungen sol mein Seelenschabbes kommen und ich wil weniger und
blos an meinem Haupt-Werke: der Titan, auf das ich meine halbe
Seele aufspare, arbeiten. Aber ich kan mich kaum zwingen, 1 Tag
Ferien zu halten: es überfält mich eine drängende Bruthize und ich mus
wieder über meine Eier.

Die Bayreuther Hosen lehrten mich zum erstenmale, daß es —
schlechte giebt: nämlich alle meine vorigen taugten nichts, aber ich
wust’ es nicht bis ich die besten anzog. Der Schneider sol seinen
Triumphbogen gar ausbauen, nämlich die Weste und das Kleid noch:
ich bitte Sie — indem ich Ihnen recht sehr für die vergangne und
künftige Mühe danke — mir einige Muster von feinen Tüchern
(rothe und schwarze nicht) und von seidnen Westen Zeugen zur Wahl
zu senden.


Otto schikt Ihnen in einigen Tagen einen Brief. Bitten Sie doch
H. Ellrodt, daß er mich nur mit fünf Zeilen überführt, daß er noch
— ist. Ihr lieben Bayreuther vergesset mich ja ganz! Ihre Briefe
werden zugleich mit den Nächten kürzer, und das Schweigen mit den
Tagen länger. Meinen Herzensgrus an unsern Schaefer!

N. S. Seinen Brief bekam ich nach dem Schlusse des gegen
wärtigen.


Der Mai wird mich nach Leipzig und Weimar in freundschaftliche
Arme führen. Fränklin räth, man sol jede Nacht die Betten zum
bessern Schlafen wechseln. Warlich man solte — Menschen aus
genommen — alles wechseln (nicht abdanken), Städte wie
Hemden — Stuben — Gegenden. Man solte in 2 Städten wohnen
und von einer in die andere ziehen. Ich bin gewis, der lange Tag
unsers Lebens würde uns durch sein ewiges Idem ermüden und
ekeln, wenn nicht die sanfte Natur zwischen jede 12te Stunde den
Schlaf als Folie des Wachens eingeschoben hätte. Ich kan mir daher
nach der ganzen menschlichen Natur keinen immerwährenden Zustand
in der andern Welt vorstellen: auch dort mus es Wechsel, d. h.
Steigen, d. h. Sterben geben. —


Eben verlangt mich der Profess. Becker in Dresden zum Mit
arbeiter an einer ¼ Jahrsschrift, den Bogen zu 8 sächs. rtl. —

Leben Sie wol, mein Guter, vergessen Sie nicht Ihren innigen
blos für Sie unveränderlichen

Freund
Richter.

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 2. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1958.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: OFS/SBa und Privatbesitz Italien. 6⅔ S. 8°. K (nach Nr. 278): Emanuel 2 Ap. 96. J: Denkw.1,47×. A: IV. Abt., II, Nr. 83. Vermerk Emanuels auf H: beantw. am 14 April(wohl verschrieben für 4. April, vgl. 177,26 ). 171,32 Westen] nachtr. H 172, 3f. die Nachschrift steht am Rande des hier schließenden erstenBogens H

171,22 Titan: hier zum erstenmal der Titel. 23–25 Vgl. Nr. 256. 172, 3 Vgl. IV. Abt. (Br. an J. P.), II Nr. 82. 6f. Benj. Franklin in dem Aufsatz „DieKunst, sich angenehme Träume zu verschaffen“; s. dessen „KleineSchriften“, deutsch von G. Schatz, Weimar 1794, 2. Bd., S. 47; Auszügedaraus im 26. Exzerptenband (1796). Vgl. I. Abt., VII, 106,34–36. 13–16 Vgl. Bd. I, 400, 19–21 .

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_276.html)