Von Jean Paul an Charlotte von Kalb. Hof, 3. August 1796.
Brieftext
Die Lauwine des Kriegs, in der fortgerissene Menschen und Dörfer
liegen, wälzt sich näher. Möge das Schiksal sie zerschmelzen,
eh’ sie
fortschwilt und fortrükt! Die Sonne hieng in glühenden
Wolken und
mein Auge in ihr und mein Herz am fremden fernen —
die Natur
stand mit ihren Bergen aufgerichtet da — der
Wind stürmte um die
Wolken und veränderte sie nicht — ein
glimmender Nebel flatterte
um die ausgebrante Sonne — ich
wurde erhoben und gedrükt, ich sah
zugleich das Leben
verkleinert und das Ich vergrössert, die Schmerzen
und die
Freuden verkürzt und den Werth verewigt. So wie die Sonne,
so ist ihr voriges Leben eingesunken; aber wie sie, brent ihr
glühendes
Herz fort und ich halte
[es] mit seinen Flammen an meines und
es
kan nicht untergehen — die Wolken des Kummers und der
Hügel des
Todes steigen an ihm auf und es kan nicht
untergehen. — Sie fragen,
wenn Sie kommen sollen: noch vor der
Minute, da Sie fragten. Geben
Sie mir stat der kurzen
Freude der Überraschung — die ich doch in der
Nachricht habe —
die längere der Erwartung. Das Schiksal nehme
deine Träume und
pflanze [sie] um dich wie ein blühendes
Eden und
kein Engel vertreibe seine Schwester aus dem
Paradies.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_369.html)