Von Jean Paul an Emanuel. Hof, 26. August 1796.

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Brieftext

Hof. d. 26 Aug. 1796 .

Mein innigst Geliebter,

Wenn einmal die harte Stunde käme, wo ich meinen Körper auf
lange Zeit von Ihrem reissen müste — und das heissen wir Menschen
ja Trennung — und wenn die Jahre und die Landstrassen wie scheidende
Kerkermauern zwischen unsre Seelen träten: so würd’ ich, wenn ich in
der lezten Minute noch sprechen könte, so zu Ihnen sprechen: „trokne
„dich ab, du sanftes menschenfreundliches Auge! Schlage froher, du
„gutes schuldloses Herz, ich habe nie deine Liebe und deinen Werth
„verkant! Du hast nie das meinige getrübt! Nicht einmal mit un
„schuldigen Misverständnissen hast du mich je gekränkt! Und so lange
„die dünne gesenkte Wolke meines Erdenlebens noch nicht ins Grab
„gefallen ist, und so lange sich noch in meiner Seele die Flammen der
„Liebe aufrichten: so lange lieb ich dich und du mich und nichts trent
„uns mehr!“


Und das sag’ ich Ihnen heute noch vor jener überwältigenden
Stunde, lieber Emanuel, — als eine Antwort auf Ihre jüngsten
Briefe an unsre Freundin .... Vermengen Sie mich nie mit meinem
Schein und glauben Sie nie, daß ich gegen Sie je kalt werden könte,
d. h. blind.


Leben Sie froh, mein Theuerer, mein Freund, mein Unverges
licher!


Richter

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 2. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1958.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

K: Emanuel. *J: Denkw. 1,53. 237,18 heissen wir] nennen die K 19 wie scheidende] als trennende K 20 treten K 23 ich bis 24 verkant] duhast mich nie verkant K 28f. nichts trent uns mehr] wir werden nie getrent K

Emanuel hatte sich wahrscheinlich in Briefen an Renate über Jean PaulsSchweigen beklagt.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_388.html)