Von Jean Paul an Christian Otto. Hof, 24. Februar 1795.
Brieftext
Lieber Otto,
Ob ich gleich von der französischen Geschichte so viel weis als von
der englischen, niederländischen, päbstlichen, — sinesischen;
ob also
gleich meine Erinnerungen daraus nichts für deine Auto- oder wider
deine Heterographie beweisen könten:
so schliess’ ich doch aus der
Einheit deines Aufsazes, die mit
Zufal und fremden Bruchstücken
unverträglich ist und die allemal Einen Schöpfer
verräth, daß für
dich der Steinbruch der Geschichte war, was
sie für den Theaterdichter
ist: er fand nur den Stof, aber
nicht die Gestalt und hob aus dem
Wirwar von mehr als einem
durchkreuzenden Interesse nur eines
heraus. So — indem du die
Akteurs von dem Schauspiel sonderst indes
andere das
Stük nach den Spielern (Königen oder vorragenden
Menschen)
zuschneiden, und indem du bei der Einheit deiner Handlung
Menschen nimst und lässest, weil der Geist der doppelten Reformazion
seine Gewebe zwischen den Thronen nur anhieng — so entwickelst
du
deine Geschichte dramatisch mehr aus dem Geist der Zeiten
als aus
Zufällen, die er nur nüzte. Wenn du die
almählige Entwickelung und
Entkörperung des Freiheitsgeistes
und seine Faust- und Thierkämpfe
mit der Bosheit, Dumheit und
dem Zufal malen wollen: so hast
du ihn gemalt. So ist eine
Geschichte von der gewöhnlichen ver
schieden, wie der französische Roman, wo beinahe der ganze Schauplaz
in der Seele ist, von einem vol Fakta. Und ich bin am
meisten auf die
ganze Zusammenfassung des ganzen Europa
begierig, wo alsdan der
Baum (dieser Aufsaz) nur zum Zweig wird an einem grössern
Baum.
Ich eile, weil es 7 Uhr ist und ich mit dir zu K. wil.
Was mir besonders gefallen, hab ich mit O bezeichnet.
Einzelne Anmerkungen.
Die Empfänglichkeit Frankreichs für die neuere Neuerung, von den
Waldensern her, hättest du als den Grund des Gemäldes mehr
aus
malen sollen. — Ich sage dir allemal
meine Meinung: taugt sie
nichts, so taugt doch die Absicht.
Jezt siehe im Mspt.
dunkle Begriffe oder er mus es 2mal lesen.
(in den Niederlanden) motiviert; aber du hast es nicht herausgesagt. —
wie über das teufli[s]che Soufleurloch der Katharina, zumal unter
der Regentschaft eilig weggeflogen zu sein.
druk war 2mal da.
Den Parallelismus zwischen Heinrich 3 und Ludwig 16. must du
erstlich abkürzen 〈als Episode〉, indem du alle beide alzeit
mit ein
ander
und nicht nach einander schilderst; zweitens bedarf auch
des
ersten Tod, da er nur ihn, nicht die Zeit angeht,
sparsamere Züge.
Auch hast du die Karakterschilderung des
Tropfen zu oft wiederholet,
da sie jeder Leser ohnehin
in allen Begebenheiten blutig und gräslich
wiederfindet. — Noch
etwas: flektiere doch (der Deutlichkeit wegen)
nomina propria oder schreib wenigstens Heinrich dem 3.
Was ich noch zu sagen hätte, wäre Lob; und die Bitte, daß ich
bald das Andere bekomme, weil das für mich der einzige Weg ist,
auf dem ich nicht wüste mit welcher Wissenschaft ich dan die
Ge
schichte — die dan keine mehr ist —
vertauschen möchte.
Ich bin eben so eilig als ich streng war: aber das leztere mus
unter uns mehr sein als du es gegen meine Sachen bist. Morgen
bekömst du deine 2 andern Aufsäze, und meine Abhandlung. Ich hatte
nur heute Nachmittags Schule wegen gestriger
versäumter. Gute
Nacht! sag ich erst um 10½.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_67.html)