Von Jean Paul an Christian Otto. Berlin, 24. Oktober 1800 bis 29. Oktober 1800.
Brieftext
Lieber! Nur einige Worte aus dem Saus und Braus. Vor drei
Wochen jezt abends kam ich hier an. Ich und Ahlefeldt
leben wie
jugendliche Musensöhne in Waffenbrüderschaft des Essens und
Aus
gehens; wir haben Einen Bedienten,
der alles kan und thut; durch
seine Thür lässet er mir Morgensonne, ich ihm durch
dieselbe Abend
sonne zukommen. Ein Garten
umgiebt uns. (Deine Briefe bekam ich
alle) — A. behandelt mich mit Zartheit und weiblicher Schonung
und
Geduld; denn jezt ist mit mir schwer auszukommen. Ich
wil dir doch
einige nennen, bei denen ich zum Thee oder Essen
war — Fräul. v. Hake
(treflicher Karakter) — Fr.
(bedeut[et] Frau) v. Scheve — Fr.
v. Boye — der berühmte Herz und
dessen grosse gelehrte Frau
— Mdme Bernhard — der schlegelsche
Bernhardi, der mich oft
besucht — Buchhändler Sander
(schöne Frau) — Mdme Clausius —
Minister v. Alvensleben (3mal da
diniert; er gab mir sein Mspt über
das 18
Jahrh[undert] das sehr gut ist) — Fr.
v. Hastfer — Geheim
Rath Maier (3 herliche Töchterlein)
— Kriegsrath Zoelner —
Matzdorf — ein Kränzgen bei Kriegsrath Brandhorst — Lieutenant
Faber — Kriegsrath Müchler
(herliche Frau) etc. Und was lernt’ ich
nicht kennen? 3 Himmelsgesichter müssen genant werden, Schmuker,
Stubenrauch, v. Berg (Mutter und Tochter, erlesene Wesen)
— Dan
Teller, Klein aus Halle, Schleiermacher etc. aber wozu die leere Liste?
— Ich werde auf den Händen getragen, die sonst andere
küssen. —
Die Berlepsch ist wieder
zurük; komt wahrscheinlich nach Berlin.
— Schreibe mir doch recht aktenmässig, in wie viele
Exemplare der
niedrige Heinsius — Lübek
ist auch eine ehrlose Bestie — die Dedi
kazion gedrukt; ich wil ihm etwas
versezen.
Dum handelte die Kalb (das Geld
gehört zu einer weiblichen
Schule, wovon sie Ordensstifterin und Lehrerin sein wil)
—
Schlecht die H[erde]r
Meinen Grus an den Juden den
Einzigen.
(hab auch mein Geld noch nicht) — und noch
Schlechter dein A[lbrecht], der dir deine 50 Ltl. raubt. Bei
Gott! welche Streiche auch ein brennender Kopf anstelle; die
eines
gefrierenden Herzens sind doch schlechter. —
Fast alles wohnet ½, ¾ Stunden weit von mir. Vorgestern war
Nachts Feuer; man regt sich nicht im Bette, und wär’ es in
derselben
Gasse. — Deine Schreiberei über den Titan hat mich wenig ergözt.
Wankt dein Urtheil so durch ein fremdes? Seit ich in Weimar war
und hörte daß Herder das schlecht
findet, was Goethe und Schiller
gut und umgekehrt — S. Exempel unten
Fried. Schlegel bei dem ich as, sprach Wieland sogar die Talente ab —
und dem Jacobi reinen
philosophischen Sin, mir aber zu — Schiller findet
nichts
an Thümmel — Herder nichts an
Schleiermacher und Tiek,
Schl[egel]
alles —
Herder findet meinen neuen Styl klassisch, Merkel
schlecht — Göthe die matte
Genoveva gut und den Wallenstein — Wieland anfangs alles zu gut, dan zu
schlecht — und so geht alles
erbärmlich durcheinander.
: so frag’ ich nach keinem
einzigen Urtheil
über mich, obwohl nach dem der gebildeten Majori
tät. Jacobi ist als Kunstrichter nie ratifiziert. Seine
Individualität
plagt ihn zu bitter und von seiner Schwester wie mir Herder und
eine trefliche v. Röper sagte,
hängt sein Meinen ab. Er verdarb sich
den Titan durch die Voraussezung,
daß er die Narben des Giftes
trage, gegen welchen er
gerade den Gegengift bereitet. (Baggesen
ist tol, weil ich seinen Brief kalt beantwortet) Nie werd
ich den
Hesperus anders geben; noch weniger den Titan, dessen gröster
durch die nothwendige Wahl des vornehmen Standes
entsprungner
Fehler eben das sogenante Edle, und die
Abweichung von meiner
Siebenkäsischen Manier ist. Hört
ich dahin und dorthin und hierhin:
Himmel, mein Gefühl und Feuer und alles würde verhunzt. Die
neue
Sekte ist gerade für mich; Tiek war Sontags bei mir; aus seinem
Spas mus ich nichts machen; Bernhardi, der Schlegelianer, ver
theidigt mich gegen Merkel, gegen den ich mündlich so spashaft
freundlich bin, daß ers nicht
ausdauert — Bernhardi hat mich eigent
lich studiert; Tiek wolte früher
ein Buch über mich schreiben und damit
genug.
Leider kan ich dir der Ferne und Gefahr etc. wegen, meinen Mspt
Titan nicht senden. Die Corday
hatt’ ich nur 1 mal; und die Herzogin
bettelte sie mir unter Kauf-Vorwand ab. Mit der Corday bin ich
und Archenholz ganz zufrieden; und
du? — Das überflüssige Taschen
buchkomt erst
1802 heraus.
bekomst du, wenn ichs habe.
Heute schreibt mir meine noch immer nahe Renate
ihren
Schmerz. —
Die Berlepsch ist in Meklenburg und komt hieher (unter
uns);
die Schlaberndorf ist schon da. Sie
knüpft sich mit schönem Herzen an
mich. Ofner kan man nicht von sich erzählen und von Reise
Avantüren
als sie thut. Kein Man geht vor diesem feurigen
Busch unversengt
vorbei; meine Schuhe hab ich
hineingeworfen wie auf einen Schaz.Jezt ist sie mir von
neuem unbegreiflich, in so fern sie immer edler ist (Noch
ist res salva) — sie hat sogar
Logik bei Kiesewetter gehört und hat einen durchaus
philosophischen Geist.
Jezt Antworten! — Warum schweigt deine Friederike? Ich hätte
ihr dan auch mit einem P. S. für
ihren Schul-Man geantwortet. —
O kanst du noch nicht aus deinem Teufels-Kettenwerk heraus?
Sperret
sich immer dein Kopf und Name ein? — Und das
ökonomische Leben
dazu. Jezt must du dich ändern;
auch der Zukunft wegen. — Offenbare
mir nur alles was dich
drükt; ich bleibe ja an dir wie du an mir. —
Schreibe mir
die wichtigern Veränderungen von Liebman; damit
ich die darunter aufgreife, die mir zu meinen rtl. hilft.
An Schenken
ist nicht zu denken und es sol sich
nicht reimen. — Von meinem
Herder kehrt ich mich mit trüben Augen weg; ich suche ihn
nun auf
der Erde vergebens und freue mich auf die Minute unsers
Wieder
sehens. — Gleims und alle
Briefe sind in Weimar, wo ich 3 Kästen
noch habe. — In Potsdam ist der königl. neue Garten. — In
Rük
sicht des Geldes that ichs schon vor
deinem Rath; ich gabs in die
hiesige Bank. — Die
durchaus gute Röper klagte wie Herder über
Jacobis Eitelkeit; der Funfziger läuft aus dem schönsten
Freundin
Kreise der ersten neuen Frau kokettierend zu, kehrt
freilich wieder
zurük. —
Die schönen Meiers schikten mir vor der Ankunft einen
selber ge
machten Fenstervorhang; jezt
anonym mit der fast für bewachte
Mädgen gemachten Fuspost
mir und Ahlefeldt feine Schlaf-Westen.
— In Leipzig war ich nicht; in Dessau bei niemand. 2 schöne Mädgen,
eines von Weimar für Halle, eines von Dessau hieher,
bracht ich im
Wagen mit auf keine andere Kosten als die des — Beutels. —
Weis
man in Bayreuth nichts vom
wilden Kosmeli zu erzählen, dem Verf.
der Biographie einer 42jährigen Aeffin? —
Sieh jezt bei unzähligen Arbeiten und Briefen nicht so bald auf
einen auf. — Die Juden und Jüdinnen sind hier so fein
geglättet und
zugeschnitten wie ihr Gold. Eine Sozietät von vielen
Tausenden zu
ihrer Religions-Revoluzion geht über Europa hin.
— Leb wohl mein
unvergänglich Geliebter!
Sogleich nach dem Ende des 2. B. des Titans fang’ ich den
grössern
Siebenkäs-Fixlein an, nach dem ich mich so lange sehnte;
die Welt
sol sehr lachen.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/IV_11.html)