Von Jean Paul an Karl Ludwig von Knebel. Meiningen, 2. November 1801.

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Brieftext

Meiningen d. 2. Nov. 1801 .

Alter theuerer Älpler im Thale! Herzlich erfreuete mich Ihre Hand,
nicht nur die schreibende, sondern die drückende und warme. Nur
hätten Sie nach so langer Zeit wenigstens mehr ein Alphabet Bogen
als ein Alphabet Buchstaben geben mögen.


Ich für meine Person — wozu noch meine Frau gehört und irgend
einmal wie in der Gottheit eine dritte Person — bin weiter nichts
als seelig; und Gott sei Dank, daß er die Ehe erfunden. Himmel!
welche Romane hätt’ ich machen wollen mit den Kräften, die ich sonst
ansezte, sie zu spielen!


Warum schreiben Sie mir über meine Novissima nichts? — Und
warum überhaupt so selten? Warlich ich würde keine Antwort länger
schuldig bleiben als diese. — Sehen mus ich mit meiner Frau Sie
bald; ich sehne mich, Ihnen zu beweisen, daß sich in Ihrem Hause
einmal mein — Himmel entschieden.


Die Eumeniden kenn’ ich, 2 Studenten haben sie gemacht; selber
die Schlegel misbilligen sie. Alle diese Leute meinen es aber nicht so
schlim; die Gellertsche Poesie, die nur eine Leipziger ist, kurz die
dichterischen Gesangbücher sollen hinab; und das ist recht; nur irren
sich diese Bilderstürmer durch das Verwandeln in Himmelsstürmer;
durch die dümste, nachsprechende Partheilichkeit, wie z. B. die ist, dem
alten Apollo’s Schwan in Osmanstädt, der früher als andere
Schwanen sang und nicht sterbend, den melodischen Hals umdrehen zu
wollen. Wieland wäre ein Dichter, wenn er auch noch nichts gethan
hätte als blos — gesprochen.


Leben Sie wohl, alter Verwandter! Ich sehne mich nach mehren
Lauten. Ich und meine Frau grüssen herzlich Ihre liebe Sängerin und
den Zuhörer. Die Freude bleibe bei dem Sänger der Freude!

Richter

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Kestnermuseum, Hannover. 3 S. 8°. K (nach Nr. 207): Knebel — J:Knebel Nr. 6. B: IV. Abt., IV, Nr. 182. A: IV. Abt., IV, Nr. 204. 114,12 mögen] sollen K 22 einmal] nachtr. H 30 nicht] danach erst K melodischen] aus poetischen H

Angekommen 11. Nov. 114, 21f. In Knebels Hause in Ilmenau hattesich im Mai 1800 Jean Pauls Verlobung mit Karoline von Feuchterslebengelöst. 23 „Die Eumeniden, oder Noten zum Text des Zeitalters“, Zürich 1801, eine ganz im Schlegelschen Fahrwasser segelnde anonymeStreitschrift, über die sich Knebel entrüstet hatte, sind, wie ich nachweisenkonnte (Euphorion XXX, 1929, S. 294—308), in der Hauptsache vonFranz Horn (s. 124, 23 und zu Nr. 213) und Adolf Wagner (dem OnkelRichards) verfaßt. Jean Paul hatte das wahrscheinlich von Kanne erfahren, der auch Anteil an der Schrift hatte. 28–32 Wieland wird in den„Eumeniden“, S. 177, jeder Anspruch auf den Rang eines Dichters abgesprochen; vgl. 9, 32. 34 Sängerin: Knebels Frau, vgl. Bd. III, Nr. 291†.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/IV_205.html)