Von Jean Paul an Christian Otto. Meiningen, 21. November 1801 bis 22. November 1801.
Brieftext
Lieber! Ich wil nach meiner Art einen Brief in einem Jahre an
fangen, und fortschicken im andern. Du
hast mir ganze Bibliotheken
vol zu melden. Da wir auszogen,
brachte mich die Beredsamkeit meiner
Frau an das
Brief-Rangieren, wobei sie doch ¾ that. Jezt ist der
Berg gesondert und geschmolzen. Deine — Emanuels —
Thieriots —
etc. Br[iefe]
haben eigne Rubriken und Bindfäden; andere
B[riefe]
stehen unter der Aufschrift: Briefe, die mir Ehre
machen — oder unter
der: weibliches Herzens-Ragout — oder
Verlegerbriefe u. s. w. ver
mischt
beisammen. Die Unkrauts-Hälfte heizt, wie die Alexan
dr[inische] Bibliothek. —
Vorgestern abends fand ich von der Post
eine Folio-Kapsel,
und darin eine englische Folio-Ausgabe von Young
mit 20 oder 25 herlichen phantastischen
Kupferstichen von Blake,
englisch prächtig vergoldet und Saffian
[und] Atlas und alles wieder
in schwarzer
L[eder] Hülse; eine ächte
Gold[kette] geendigt mit einer
grossen Perle dient stat der Zwerg-Zettel die du in Bücher
legst.
Anonym kams, ist aber vom gothaischen Erbprinzen.
Ich taxier’
es 15 Guineen. Die Kette bin ich gesonnen abzulösen
und meiner Frau
an den Hals zu henken. Es ist vielleicht nicht zweimal in
Deutschland,
was mir sehr bei dem Verkaufen einmal helfen kan. —
Heute erhielt ich deinen erfreulichen Brief, der mir sehr gefiel,
ausgenommen die Länge seiner
Buchstaben, d. h. die Kürze seines
Inhalts. Vergleiche einmal meine mit deinen! Hier ist einige Antwort!
Schillers Jungfrau (Jeanne d’Arc de Ciel
) war mir nach der
Maria St[uart]
noch verdächtig troz dem grösten Lobe der W[eimarer]
Herzogin Mutter; aber da ich sie gelesen — hätt’ ich
beinahe an
Schiller geschrieben, um zu bewundern. Ihr Tod, ihr hoher ausser
weltlicher Karakter, der Plan im Ganzen, das Romantische
flamten
mich Verarmten und doch Verwöhnten an. (Du hast
doch etwas mehr
als ich,
[mich.]) Allerdings tadl’ ich den verschwin[denden]
schwarzen
Ritter, den Donner, die wenige Wirkung des Hexenglaubens; deinen
andern aber scharfsinnigen TadelÜberhaupt wünscht’ ich
sehnlich mich w[ieder in die alte]
Ordnung deiner
Leuterung [
Lücke
]
find ich vielleicht erst bei der
zweiten Lesung hel
und recht; aber der Verbrennungsprozes wäre doch
weniger
dichterisch gewesen. (Jezt zu dem Alphabet deines Briefs)
A. was ist das hinter dem Ende? — B. Ist die französische Mathilde
aus unserem Säkel? Ist nicht die Jungfrau und der König
recht? —
C. Über die Materie wurd’ er wohl zu sehr Herr, nur nicht
über den
Herr-Werdenden. — D. Wahr
geredet! — E. Weniger! Deine
Grundsäze selber sind vortreflich, tief und fest; aber deute mir nur
(ohne lange Rechtfertigungen) die bestimten Stellen im zweiten
Titan an. Ich suche nie mich mehr, sondern die Sache; mein
schein
bares Spiel ist oft
Nothwendigkeit der Schwäche in mir oder dem
Plan; bei dem
dritten wirst du meine fortgehende Reinheit und
Aufopferung sehen. (Himmel, welche Wiz-Schichten,
Reflexionen,
Karaktere, Philosophien, Erfahrungen
verschimmeln mir bis ich
zum Notar Bliz gelange!) — F. Vortreflich! — G. Der erste Titan
siecht blos an der englischen
Kran[kheit oder] den doppelten
Gliedern,
nämlich an der Mischung der siebenkäsischen und ernsten
Manier.
Albano leidet sie nicht; nur Schoppe, nicht der Verfasser
darf schoppi
sieren. So ists auch mit den
kleinen häuslichen Faktis und Karakteren
(das Sizen auf der
Vogelstange, Falterle, Malz, meine meisten Di
gressionen, der grössere — auch schon
in Hof geschriebne — Theil der
Jugendgeschichte gehören in ein künftiges Werk, in die
Mumien,
Hesperus, Fixlein)
H. Thu’ es ja; ich habe dein Ehrenwort. Bei einer zweiten
Ausgabe
nüz ich allesSchreibe
ja alle dir beim Lesen einfallenden [
Lücke
]ricos hin, damit ich
sie bei den operibus
[omnibus]
nüze; du solst sie dan in Franz haben.
I. Wahr! — K. Wo geschiehts neuerdings?
L. Inzwischen — Im ersten Kapitel erlaubt das kleinere
Interesse
jede Mixtur und Legierung; im lezten das
gröste keine. Nur ein Ausweg
ist künftig: allemal zu
Anfang eines Kapitels seine Streiche zu machen
und aus dem
Autor Held zu werden. — O. — O! Ach! Eheu! Lange
vorbei, ist derlei! —
P. Brüderliche Episteln!
Gesegnet sei Hardenberg. Jezt ist ja dein alter Wunsch
der Ent
fesselung von C[hristoph]
gewährt.
Q. Blos um dieser Kraft- und Feuer-Frau, die noch besser
spricht
als schreibt, ein Proviantschif zuzurudern, bot ich mich
an. Meine
Lorbeerbäume in den Briefen weis ich nicht ob ich
sie niederhaue
oder etc.
R. An Lipman werd’ ich requisitoriales aufsezen. — Oertel hat
auch an mich leichenkalt geschrieben; und ich ihm nicht
mehr. Aber ein
Fichtist ist er nicht. — Deine Entrevüe mit
Herder ist mir herzlich lieb;
er würde dich in der Nähe sehr nahe tragen und lieben. —
S. S. Ich
habe eine
antiquarische Reise durch alle Wiegenbretter meiner Vorzeit
vor mit C., durch Jodiz, Hof,
Schw[arzenbach], Rehau,
Wonsiedel,
Sparnek, Neustadt und Bayreuth. Auf Neustadt und
Wonsiedel
freuet sich lechzend mein Herz. — X. Es bleib’ auf ein andermal. —
Von Thieriot, dem
herlichen Kopf, lese doch im Merkur 1800 die
Exzerpte, und Reminiszenzen, und Apologen. — Mein Titan
wird
24 Bogen, der Anhang 2 oder 3.; noch 1 teufelmässig dicker
Band
schliesset ihn ab. — Eh ich hieher zog, wolt’ ich zu — Kramer, den
ich noch nicht gesehen, ziehen (und schikte meine Frau
fragend hin),
[um] eine lange Antithese zu machen. —
Schreibe mir über das
Taschenbuch. Mein poetischer
Geschmak fi[ndet] täglich weniger
Poeten. Wie verabscheu ich darin Baggesen, Voß, Klopstok und
ohnehin den meisten Rest. — Mit welcher alten Seele ich in
dein
Geburtsfest hineinsehe, mus dir deine sagen. Du
bleibst mein ewiger
Otto. Du bist meine schönste
Vergangenheit, die in die Gegenwart
fest
hereinwurzelt. O ich weis niemand auf der Erde, dem ich lieber und
wilder eine Freude gäbe und gönte als dir.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/IV_214.html)