Von Jean Paul an Christian Otto. Meiningen, 1. Februar 1802 bis 6. Februar 1802.
Brieftext
Guter! Ehe Cotta schreibt, wil ich im Voraus etwas fertig schreiben
in schönster Musse. Amoene zürne
nicht über meine aktive Kritik. Ihr
Tagebuch hätte durch so viele ähnliche Inserate alle
Einheit verloren,
besonders da es selber sich durch keine Handlungen
bindet. Ihre
Karaktere, Handlungen, Knoten müssen neuer und
stärker sein; ob sie
gleich auf einem richtigen Wege der
schönen Darstellung ist. Sie hat
(z. B. sonst in ihrem Höfer
Tagebuch) ein grösseres Feuer als sie jezt
auf dem Papier brennen lässet. —Sie solte doch einmal eine scherzende wizige Erzählung versuchen, z. B.
eineBayreutherin malen und den Hern dazu.
Apropos sie hat oft den Höfer
Imperativ (wie ich leider in den Mumien) „spreche,
gebe, helfe!“ stat:
sprich, hilf etc. — Deine Kritik, die überal so sehr auf
die epische Ob
jektivität dringt, hat mein Ja; ich
wust’ es schon unter dem Schreiben,
mocht’ aber nicht.
Sogar im 3. Bande ists, zumal anfangs, noch ein
wenig;
übrigens sind ein Paar Kardinalkapitel darin, wie ich sie noch
nie gemacht, zumal das, was —s—g—l so gut beschreibt.
Dasmal
kein Anhang. — Über die Kapitel hast du Unrecht;
jedes Ganze be
steht aus kleinern
Ganzen, das Schauspiel aus Akten oder Kapiteln.
Alle meine
Kapitel sind abgeschlossene Inseln, von einer zur andern
kan und sol man nicht unmittelbar, sondern nach einem Aufhören
erst. — Jezt arbeit’ ich an der „Geschichte meines Bruders,
von J. P.“
— mit unsäglicher Lust und mit Glük. Es ist der Notar. In
dieser kan
ich die höchsten Satyr-Sprünge machen, die
Objektiv[it]ät gewint blos
dabei. Siehe den Kalender meines Pultes: bis Ostern
Geschichte
m[eines]
B[ruders] — bis Dezember 4. Titan
samt Anhang — bis
Ostern 1803 Geschichte oder wahrscheinlicher den 5.
oder lezten Titan,
der dan schon zu
Michaelis käme. Jezt schweb’ ich in dem neuen Glük,
daß ich
eigentlich mit meinen 2 Seelen gleich sehr nach 2 verschiednen
Werken hange und verlange. Daher wil ich dan die
biographischen
Belustigungen — als Ballast des Notarius und Bruder des
Titans
— beschliessen, wenn nicht das Leben früher
beschlossen ist. Dan
Siebenkäs[ens] Ehe mit Natalien.
Dan nichts mehr; sondern ich
philosophiere und kritisiere. In die Erfurter
Zensier-Union bin ich
nicht getreten: sie giebt zu wenig Plaz und Geld. Was wil
ein Mensch
auf 2 oder 3 Seiten sagen? — In der alg.
deutschen Bibliothek
hat mich Nikolai bis auf ein Paar Knochen aufgefressen; ich
ant
worte dem Kläffer nichts. Überhaupt
solte man der Thorheit nur
durch ihr Widerspiel oder doch
nur im Ganzen entgegenarbeiten.
Erschlage 12 Narren; im
nächsten Winkel gebiert eine Mutter wieder
neuen Saz.
Unendlich in Verachtung wird man durch die unaufhörliche
Plat-, Schief-, Leerheit der schreibenden Menschen geübt; noch ekler
ists, daß eben die Platten etc. das Edelste geniessen und
nach ihrem
Magen einen succ[um] et
sangu[inem]
daraus gewinnen, der ein
Schlangengift des Edelsten
wird. — Bouterwek war eine Woche
hier. Wir gefielen uns sehr. Er ist jezt blos ein
Philosoph, als Mensch
fest, bestimt, hel, vorsichtig,
langsam, warm und recht. Er wie
Herders Tochter zieht dem spätergelesenen Hesperus den Titan vor.
— Ich glaubte nie, daß ein Fürst mein Freund werden würde; und
das ist beinahe der
Herzog, ob ich gleich so oft ich wil seine zu häufigen
Abend-Einladungen verneine — fast 6 in jeder Woche
— Er komt
oft zu uns; neulich as er sogar bei uns; freilich
lies er, weils schnel
gieng, sein Essen auch gar herholen.
Ich ziehe doch den Vortheil
davon,
daß der Adel sagt und bemerkt, ich machte ihn verrükt, weil er
neuerdings einige scharfe Edikte gegen die
Kollegien-Frikzionen und
Moratorien ergehen lassen.
(Indes sagt’ er doch, er wolle mir ein
Haus bauen, was der
Himmel verhüte, weil ich hier kein ewiges
suche)
Perthes honoriert, wie ich heute aus 2 Kisten sah, die leer im
Vorsaal stehen, die Untersuchung über das
künftige Sein mit 60℔
Hamburger geräuch. Rindfleisch und 40 B[outeillen]
rothen und
weissen Portwein; er wil mir dadurch am besten zeigen,
daß freie
scharfe Untersuchung am Ende zu etwas führe.
—
Die Kalb ist hier. Es ist ein sonderbares Eintreffen, daß
ich dir in
diesem Briefe rathen wolte, zuweilen zu rezensieren und
daß sie mir
sagt, Mehmel in Erlang wolle an dich darum schreiben. Oder biete
dich an — auf dieses Wort. — Schreibe mir doch einige
Bände Höfer
und eigne Neuigkeiten; es lezt mich. — Die Solms hat mir
eine
goldne Dose geschikt mit einem noch schönern Brief.
— Um die Sache
kurz und deutlich, als wär’ ich bei Herold, zu erzählen, brauch ich
nur dabei anzufangen, daß der Herzog freilich anfangs
nicht wolte, da
es Wechmar, der Onkel der Gräfin,
ihm vorstelte; daher mir der
Präsident Heim rieth, mich keinem
réfus auszusezen; allein aus Liebe
zur Gräfin bracht’ ichs sogar dahin, daß der Herzog selber
— und
ich — dabei war in des Hofpredigers Zimmer, welches
wohl Schwend-
ler, sein geheimer Sekretair, der sie bekam, nie gedacht
hätte. Es ist
ein kalter, junger, schöner rechtschaffener
Mensch; hat aber nicht viel.
Über diese Ehe wäre viel zu
sagen; jezt aber sage noch niemand
etwas, ausser Emanuel. — Heute isset die Kalb bei mir; ihr Wesen
gefället mir noch sehr wie meiner C. — Rezensiere ja. — Ich be
schwöre dich (ich erscheine dir
sonst), daß du nach meinem Tode über
mich derb und frei schreibst, nicht verdamt-kleinstädisch-zart
und
delikat über alles. O ich bitte dich; und mache
diese Stelle zum Motto
deines Aufsazes. —
Die Briefe der Klenke lass’ ich so — liegen. Ich hälf’
ihr so gern,
aber die Wahrheit und das Publikum lassen mich
nicht. — Vale.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/IV_238.html)