Von Jean Paul an Johann Siegfried Wilhelm Mayer. Berlin, 9. November 1800.
Brieftext
Alles, was dieser Brief von Ihnen bittet, haben meine Handlungen
schon schweigend ausgesprochen. Die doppelte Achtung, die ich für
Sie und Ihre Caroline habe, und die,
welche jeder für sich tragen mus,
erlaubte jenen keinen Doppelsin und das kindliche Herz
enthülte sich
dem väterlichen, dem es so viel verdankt,
vielleicht früher oder eben so
früh als dem fremden, das seinen
Himmel von beiden nimt. Meine
Neigung ist keine schnel auf- und
eben so schnel vorüberflatternde — sie
war vor einem halben
Jahre lebendig in meiner Seele, aber ich muste
meine
Freiheit so lange bewahren, als ich einer fremden nicht gewis
war — mein Auge ist jezt kein romantisches — Jahre und Verhält
nisse mit Weibern von den genialischen an bis zu den
prosaischen
haben mich über den höhern weiblichen
[Werth] belehrt — und mein
Urtheil über dieses zugleich so feste und so weiche, so reine,
so zarte,
so liebende Wesen kan sich vom väterlichen nur
durch die kürzere Er
fahrung
unterscheiden.
Jezt im Augenblicke meiner grösten Bitte sind alle andern Dinge
zu klein, um von Ihnen oder mir berührt zu werden. Ich trete jezt zu
dem Manne, für welchen die Achtung und Liebe, die ich schon
ohne
dieses Verhältnis fühlen würde, durch dieses so
kindlich steigt, weil
seine zugleich weiblich-zarte und
mänlich-philosophische Einwirkung
die Wurzeln dieser holden
Sonnenblume fester machte; zu diesem
guten Vater der guten
Tochter trete ich und sage meine kurze und
wichtigste Bitte:
sei der meinige, sie wird glüklich wie ich! —
[Adr.] Des Geheimen Obertribunals Rath Mayer Hochwohlgeb.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/IV_23.html)