Von Jean Paul an Christian Otto. Meiningen, 15. Juli 1802 bis 21. Juli 1802.
Brieftext
Endlich komt dein kurzer Brief, zu dem du in so langer Zeit nicht
die kurze fandest. Aber jezt sol wenig gezankt werden, erst
bei Be
antwortung deines Briefs. Gott
weis, was ich seitdem dir zu erzählen
— vergessen. In Weimar fand ich den alten Herder
〈nicht sie〉 mit
alter Liebe, aber lebenssat, krank, und doch bald wieder
zur vorigen
Freude wach, die alte Herzogin Mutter als eine
Mutter, den alten
Wieland als trüben Witwer und ihren Miethsman und alles
recht
gut — Göthen in
Giebich[en]stein, die Caroline Feuchtersleben in
Weimar. Er besuchte — troz der Xenien — Reichard zuerst,
bracht’
ihn nach Weimar, logierte ihn und
jezt bei ihm; er sinkt nun. In
Weimar ist alles Feldgeschrei gegen Schlegel und dessen Alarcos,
bei dessen Darstellung alles um den klatschenden Göthe
lachte, schlief,
fortgieng. Indes ist doch der Alarcos, 2 grosse Fehler abgerechnet, ächt
tragisch und gut. Ahlefeldt zahlte 50 rtl. an seiner
Schuld, die alles
versprechende Herder nichts, die
Liebman schweigt. — Jacobi
auch
seit 1 Jahre. — Auch das Klaglied ist nachgedrukt, wie das
Kam
panerthal, aber ohne die Holzschnitte.
— Cotta besuchte mich und
wil auf 7 Ld’or entrieren; ich
gab ihm mit Mühe einen Aufsaz für
sein Taschenbuch. — Der lezte Titan wird 2 Bände machen und keinen
Anhang haben, keinen gedrukten mein’ ich. — Es mus dir
erinnerlich
sein, daß du noch alle deine Briefe an mich hast; schicke
sie mir bei
Gelegenheit, wo du sie vermehrst. — Neulich
kauft’ ich einem derben
allein mit einem Kaufmansgewölbe
von 50 rtl. auf dem Magen be
sezten Jungen vielerlei ab, der ein Sohn eines Bedienten bei Steinheil
in Hof ist. Dieser Telegraph aus Hof erfreuete mich sehr.
— Die
Feuchtersleben benahm sich nicht recht gegen meine Frau,
die daher
nun nichts mehr anspint. Ich war ruhig-kalt. — Sieh die
Hof-Sitte!
Wir wurden auf den Abend in Hildburghausen eingeladen; vor
Tisch sagt die Oberhofmeisterin meiner C., daß sie und die Prinzessin
(eine götliche Täubin) mit ihr allein soupieren wolten und
ich sas ge
schieden zu Tafel. Was die
thörige Scheidung von Tisch und weiter
nichts, etwan
entschuldigt, ist daß 3 Herzoge dabei sassen, meiner,
der meklenburger etc. Indes singt die schöne Herzogin wie
eine Himmels
sphäre, wie ein Echo, wie aus
Nachtigallen gemacht. — Frage doch
nach, ob nicht das
Johanniter Bier asthmatisch und lungensüchtig
wirke. Im HerbstIm Sept. ist
doch wieder ein Tropfe zu haben? Der 5½ Eimer lässet dieriefsten Dauben schon sehen. müssen wieder Trink-Fuhren hieher
abgehen, weil
ich leider diesen Winter noch hier leben und
seufzen mus und das aus
der schönsten Ursache. Nämlich
endlich ists gewis, daß meine Frau im
Oktober mir die schönste Weinlese bereitet durch ihre —
Niederkunft.
Noch hab ich nicht den Muth, mir ihre oder
meine Lust nur halb aus
zudenken; die
Hölle liegt hier nur 2 Schritte vom Himmel; und ich
kan die
Blühende und Heitere jezt nicht mehr mit der alten festen
schönen Gewisheit ansehen, daß ich vor ihr sterbe. Was mich
kränkt,
ist daß ich oft — fast in jedem frühern Monat —
die schönsten anthro
pogonischen
vergeblichen Zurüstungen gemacht und daß gerade im
Februar,
wo ich mich gar keiner entsinne, was wurdeDie Herzogin
Amalie stelte sich schon im Voraus an den Taufstein
und sie
sol gebeten werden. Ich kan dir nicht sagen, wie C. überal alle gewint.
. — Wir haben
ein besonderes Glük mit Mägden; die
erste war beinahe die beste in
der Stadt, die jezige
〈Lore〉 ist es wirklich, eine Pfartochter, schön,
zart, folgsam etc. und wir beide müssen sie duzen, was ich
gern mit
thue. — Jezt zu deinem Briefe. Alle Ursachen
deiner Zögerung weis
sagt’ ich C. Unmöglich kan die jezige Verwandlung der 2 Arbeits
stunden in 2 Ferienstunden,
fortdauern. Verbirg es indes dem edeln
Emanuel (und sorge bei Amoene
recht dafür) mehr als man in solchem
Fal zu verbergen meint; er verdient diesen Dank der Hülle; doch bin
ich noch
immer mehr seiner als deiner Meinung, und wenn ich nichts
wüste als dein Verhältnis zu deinem Albrecht. Die Hauptsache ist, daß
man 〈der Staat〉Melde mir doch,
was ein R[egiments]
Q[uartier]M[eister]
eigentlich zu
thun hat.
dein praktisches Talent ersehe, was bedeutender
ist als du meinst. Es ist deine Stärke so wie meine Lücke.
Selber dein
Geschichts-Talent ist dessen Kind. Jeder solte
das Heilige in sich auf
suchen, worein
Gott den Schaz seiner Kräfte niedergelegt. Seze mich
auf
Bonapart[ens] Thron — und schau dan
den Lump und um
gekehrt. Miserabel 〈Unverzeihlich〉
〈Verdamt〉 ists, daß du den Titan
nicht gelesen. Ein anders mal bekomst du ihn ein
Paar Tage vor der
Lesung. Glaub’ es. Lies doch gleich;
vielleicht fliesset dein Brief
auf den 4ten ein, eh er fortgeht. — „Der gallische Rausch (lies
ich
darin Albano dem Gaspard widersprechen) ist kein
zufälliger, sondern
in der Menschheit und Zeit zugleich gegründet, daher ja
der algemeine
Antheil — Sie können nur sinken, um
höher zu steigen etc.“ Wie aber
Gaspard es ansieht wirst du
lesen. Eben weil die Revoluzion keine
Nazionalbegebenheit
ist, sind die Franzosen nichts; es ist aber auch
keine WeltbegebenheitIn einem
andern Sinne sind stets Re- oder Evoluzionen, jede Begebenheitver- und entwickelt. im striktesten Sin; sonst hätte sie und die
amerikanische Revoluzion anders gewirkt. Wird denn das
Freiheits
Gefühl durch Licht 〈Aufklärung〉 geboren? Sieh die alten
Schweizer
und Niederländerderen
Freiheitsgeist ja eine Ursache, nicht Folge der angenommenen Reformazionen war.
— Das Konkordat segn’ ich, der tiefste Aber
glaube wäre götlicher als A- und
Theismus. — Die Reise nach Bay
reuth etc. spert nun die oder
der Kleine, der da kommen sol; aber im
Lenz kan angespant werden. — In Rüksicht meines Titans und
aller
Werke weis kein Kritiker wie so weit ich im Hellen bin. —
Mereau ist
ein rechtlicher redlicher unangenehmer Man, er wird — schon
durch
den Kontrast mit der galanten 〈unmoralischen〉 Dichterin — glüklich
sein durch die gute Julie und sie
es halb durch den Kontrast mit dem
Vater. Ach aber so ist doch ihrem Herzen die erste Liebe
verweigert!
— Ich bekam jezt erst deinen Brief und weis also nichts
von den
Waffenträgern des Teufels in Jena. Drohe ihnen
unfrankiert, sie im
R[eichs]
Anzeiger aufzurufen. — Thieriot ist bis ins Tiefste eitel:
sonst lieb ich ihn wie einen Sohn, er mich wie einen
Vater.
Paris wird ihm seine Selbstschmeicheleien über sein Spiel, seine
Welt etc. mässigen; es ist seine hohe Herzens Schule. —
Seit einiger
Zeit gewöhnt’ ich mir die unnüze
Floskel ab: „Einen Grus von meiner
Caroline.“ —
— Die jezigen Franzosen (zumal mit dem niederträchtigen Erb
lichkeits Wunsch) veracht’ ich, aber
Bonaparte ist hoch zu ehren. —
Nach Coburg komm’ ich allein in diesem Herbst; wärst du oder Ema-
nuel zu
gl[eicher] Zeit hinzubringen, ich
schriebs vorher. — Schreibe
bald, aber über den ganzen 3.
Titan; und sage nur vor der Hand das
Schlechteste und Beste an. Über Wieland, Herder, die mir
immer
geehrte Kalb etc. wäre viel zu schreiben. Lebe wohl. Jezt
steht mir
die Freude bevor, deine neue Adresse auf das Couvert zu
schreiben.
Ich fürchte, der Brief geht erst den 24. ab, deiner Namens
schwester Tag. — Lies doch die
meisten besonders neuesten Romane
von Schilling, (besonders das Kleeblat von Laun
und ihm) und
Novalis Roman.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/IV_295.html)