Von Jean Paul an Josephine von Sydow. Coburg, 16. Oktober 1803.
Brieftext
Geliebte Freundin! Mit banger Sehnsucht und heller Freude
empfieng ich Ihr Blat. Längst hätte ich an Sie geschrieben,
hätt’
ich nicht falsche Nachrichten über Ihren Aufenthalt, sogar
über
Ihr Verhältnis erhalten. Ich glaubte Sie in
Frankreich. Ich bin
der Alte und der Neue gegen Sie; wir kennen gegen
einander
keine Zeit, denn was Zeit kent, geht durch Zeit
unter. Gute
Josephine, ich sehne mich nach Ihnen, nach
Ihrer Stimme, nach
Ihrem Blik, nach der ganzen Seeligkeit unserer geflügelten
Abendsekunden. Sie werden nie vergessen, weil Sie nie
ver
wechselt werden. Ihr deutsches
Auge und Herz, Ihr vaterländi
sches Feuer, und Ihr italienisches
dazu, bemächtigen sich leicht
des fremden und man wünscht weiter nichts als Postpferde
nach
Berlin.
Ich wil Ihren theueren Brief ein wenig beantworten. Ich nehme
den herzlichsten Antheil am Glücke Ihrer Tochter, d. h.
an
Ihrem. Sie, Edle, geniessen jezt den Himmel vielleicht
überal
nur durch Reflex, und müssen überal ihn geben um
ihn zu
haben. Jener Unendliche droben wird Sie zulezt belohnen, der
den Menschen früher beschenkt als belohnt. Er giebt
dem ver
dienstlosen Kinde, und versagt
dem verdienten Menschen, aber
zur Ausgleichung gehört mehr
als eine Welt. Der Mensch thut
immer, als lebe Gott nur so
lange als er: steht denn nicht die
dreifache Unendlichkeit der Zeiten, der Welten und der Kräfte
offen?
Auf Ihre Frage antworte ich, daß ich jezt den Titan mit dem
vierten Band geendigt, dessen dritten und vierten Band ich
Ihnen
zu lesen rathe.
Ich bin glüklich durch meine Caroline und durch meine
Emma, die vielleicht noch in diesem Monat einen
Bruder oder
eine Schwester erhält. Sonst aber, rechne ich die
Nachbarschaft
meines Herzens ab, find’ ich das Leben
leer und kalt, das sogar
der Jugendlenz mit seinen bunten
Nebeln mehr dekt als fült.
Schliessen Sie nie aus meinem Schweigen, dieses schadet
sogar
nicht, sobald die Seele von Jahr zu Jahr dieselbe
Unveränderlich
keit zu malen
hat.
Unendlich sehne ich mich nach einer Wiederkehr unserer
schönsten Stunden, Josephine! Ich weis gewis, das Schiksal
ge-
währt sie auch, aber es wird zögern, auch wo es nicht versagt.
—
Mög’ es Ihnen nie den Trost Ihres schönen Herzens versagen —
vom Lohne sprech’ ich nicht, und glauben Sie immer an die un
auslöschliche Liebe Ihres fortliebenden
Freundes
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/IV_414.html)