Von Jean Paul an Christian Otto. Schwarzenbach a. d. Saale, 3. Mai 1791.

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Brieftext

Schwarzenbach den 3 Mai 91.

Lieber Otto

Alles Feuer das in den Entschlus kömt, wird der Ausführung ent
zogen — gegen dieses Wechselfieber so wie gegen das langsame Nerven
fieber aller Stubensizer, mit allem zu zögern und zu zögern, medizinier’

ich soviel ich kan. Diesen 2 Krankheiten an mir, wovon du nur die
leztere hast, wirst du meine Unthätigkeit in Rüksicht der Herm[anni
schen] Schriften zugeschrieben haben — aber dasmal ists, zu meinem
Lobe, nicht. Ich mus mich iezt vor dir rechtfertigen, wie ichs vor mir
gethan.

Sein System mus, wenn es nicht volständig hingestelt wird, schief,
unbewiesen, überkühn und eben so oft nachkopiert erscheinen. Seine
Papiere sind ein vom Erdbeben umgeworfner Tempel; und er selber
wolte erst ihn in ein Gebäude einfügen: wenigstens kan kein einziges
seiner Bücher, wenns nicht das Schiksal der 2 ersten haben sol, wie es
ist gelassen sondern alle müssen ausgezogen werden. Dieser Auszug aus
so vielen Papieren, Briefen, meinen Reminiszenzen, selbst aus den
2 gedrukten B[üchern] sezt eine Zeit und eine Lage voraus, die mir iezt
fehlen. Denn die wenigen, der Ermüdung, der Informazion und der
Gesundheit abgegeizten Stunden geben mir diese Elastizität nicht —
meine eignen Arbeiten, denen ich nicht entsagen kan, wenn ich nicht
meine Abhängigkeit und den Druk der immer sich erneuernden Bedürf
nisse verewigen wil, theilen sich schon in iene paar Stunden. In Einem
Jahre sind diese Arbeiten geendigt und iene Verhältnisse geändert;
ich wils nicht einmal rechnen, daß ich um ein Jahr älter bin (weil ichs
sonst ein Jahr vor meinem Tod machen müste) oder daß ich dan
(vielleicht blos) mit mehr Freude über ein so trauriges Geschäft komme
als iezt, wo mir an der Erde ihr phosphoreszierender Nimbus immer
mehr auslöscht und wo mich das Eitle und Kurze des Lebens fast zum
Schaden des wissenschaftlichen Eifers quält....... Vielleicht hilft
〈hälfe〉 auch das, wenn ich in meinem künftigen Buche im Voraus
auf ihn aufmerksam machen könte etc.


Kurz wenns nicht seinem Namen gehen sol wie seinem Leben: so mus
ichs mit der Samlung und Freiheit aller Seelenkräfte machen, ich mag
mich immerhin durch dieses Warten den Vermuthungen seines
Vaters etc. blosstellen.

Freilich fält mir seine Armuth ein; aber wüst’ er meine Gründe,
er bezahlte gern mit seinem Nachtheil diese Vortheile seines Sohns.


Du sagtest einmal, daß die Beschleunigung wegen der kantischen
Streitigkeiten gut wäre; aber von diesen borgen seine Gedanken, die
eine ganz andre Bahn nehmen, schlechterdings kein Interesse, wie es
auch die gedrukten beweisen. Er hatte nicht einmal Kant ganz gelesen,
wie er selber in seinen Papieren sagt. Daß irgend ein andrer zufällig
ihm mit einem Ebenbilde seines Systems zuvorkomme, ist ganz un
wahrscheinlich, weil man wol in einzelnen Gedanken aber nicht in
ganzen Systemen, zumal so exzentrischen, sich begegnet.


Was du hierin billigst oder misbilligst und was ich mit seinem
schmerzhaft schweigenden Vater zu machen habe: das schreibe mir,
aber bald.

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 1. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1956.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Berlin JP. 2⅔ S. 4°. K (nach Nr. 372): Otto 14 [!] Mai. J: Otto 1,73. 335,33 in den Entschlus kömt] der Entschlus bekömt K 336, 3f. zu meinem Lobe, nicht] bei mir nicht so K 8 Papiere] Schriften K 14 fehlen] aus fehlt H 22 die Parenthese nachtr. H 23 mir bis 24 auslöscht] von der Erde immer mehr von ihrem phosphoreszierenden Schimmer abfält K 337, 3 weil] da K Gedanken] Säzen K 5 misbilligst] aus nicht billigst H

Vgl. Nr. 346†. 335, 33f. Vgl. II. Abt., V, 69,5—7. 336, 18f. In Einem Jahre: vgl. Nr. 383. 25—27 Das ist am Schluß der Unsichtbaren Loge geschehen.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_374.html)