Von Jean Paul an Christian Otto. Schwarzenbach a. d. Saale, 1. Juni 1791.

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Brieftext

Schwarzenbach den 1 Jun. 1791.

Ob ich gleich deine Arbeit, die ich mit soviel Liebe und Vergnügen
las als du sie zeugtest, nach ihrer Volendung erst beurtheilen kan: so
hab’ ich doch ein Paar Bleiweis Striche und ein Paar Noten hier
nicht unterlassen können. Wer in keinem ganz anelektrischen Körper
stekt: dem mus die Weltgeschichte die Nerven und die Feder mit Aether
füllen; oder kein Feuer des Stils und der Seele ist überhaupt zu
lässig — vertausche also ja deinen feurigern Ton mit keinem andern,
der etwan für feudalische Paragraphen passet.


  • 1. Den genanten Gütern konten Barbaren nichts anhaben.

  • 2. Höchstens Städte.
  • 3. Oder lieber: „der Uebermacht“. Nach dem strengsten Sin hast
    du freilich Recht; aber sonst gilt dieses Schwanken des politischen
    Wagbalkens auch von Europa, wo die Majorität von Süden immer
    mehr gegen Norden zureisete.

  • 4. Aufschwellen, überfüllen, überladen.


  • Blos des Adelungs wegen: „daß sie das Band aller Länder und
    Völker d[er] R[ömischen] W[elt] wurde, das in der Folge ein wol
    th[ätiger] Genius noch fester zuzog und an dem er sie zu höherer Bildung
    lenkte“.


    6. Die nächsten 6 unterstrichnen Wörter vertragen sich als abstrakte
    Rechnungsmünzen nicht mit dem brennenden Metalflus vorher. Aber
    auch ohnedies ists mir wenn ich bei den sonst besten Autoren (Wieland,
    Garve etc.) die luftartigen Ausdrücke lese „Wirkung, Vereinigung,
    Zusammenhang, bewirken, hervorbringen“, als müst’ ich warmes
    Wasser oder warme Luft saufen: warum nicht „binden, knüpfen,
    schlingen“ da zumal keine Sprache auf einem solchen Wortschaze
    sizet als die deutsche. Ich sage das nicht nach: denn ich habe ein Lexikon
    aller Verba, die sinliche Gegenstände malen, (und blos um diese
    Worte dreht sich der ganze Styl, besonders der malende) zusammen
    getragen: z. B. fürs blosse „Gehen“ haben wir 94 Verba, für
    schallen 104. Ich wil dirs einmal weisen.


    7. Der grosse Genius des kleinen Rennebaums fragt die meisten
    deutschen Schriftsteller, auch die ungedrukten: warum sie Gedult,
    dultsam, und doch dulden schreiben.


    Wegen meiner Unbekantschaft mit deinem künftigen Zwek weis ich
    die Ursachen nicht genug, warum du manchen Stellen zulezt diese
    oder iene Ausdehnung gegeben.


    Das Schreiben mit Feuer wirft selbst im Kopfe des Autors Stralen
    in die entferntesten Winkel einer Materie, die er bei kaltem Nach
    denken gar nicht bemerkt hätte — die Leidenschaft hat, blind für alles
    andre, dennoch das schärfste Auge für ihren Gegenstand.


    Da ich dein Stilschweigen auf meinen lezten Brief nicht für
    Zögerung sondern für Bejahung halte: so werd’ ich nächstens einen
    an den Herman selber schreiben und ihm die alten Mspt. geben und
    neue fodern.

    R.

    Textgrundlage

    Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 1. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1956.

    Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

    H: Berlin JP. 2 S. 4°. K: Otto 29 Mai [!] . J: Otto 1,87× (1. Jan. 1792). 338,6 Metalstrom K 12 als] wie K 29 Mstpt. H

    Es handelt sich um den Anfang von Ottos „Einleitung zu einer Geschichte des Europäischen Gleichgewichts“, die 1801 in K. L. Woltmanns Zeitschrift „Geschichte und Politik“ (I, 117—188) erschien. 337, 29 Otto sagt a. a. O. S. 117: durch den Einbruch der Barbaren verloren die Römer nicht nur ihr Eigentum und ihre Rechte, sondern auch ihre Sitten, Gesetze, Künste, Gelehrsamkeit, Philosophie, Religion und Sprache. 30 Vgl. a. a. O. S. 118: „Als ein schwaches Band vereinigte die Gastfreundschaft nicht ganze Völker, sondern nur einzelne Männer, höchstens Städte.“ 31 Vgl. a. a. O. S. 120. 338, 1 Vgl. a. a. O. S. 127 (sie = die christliche Religion). 5—16 Vgl. Vorschule der Ästhetik, § 78 und 83 (I. Abt., XI, 262,9f., 287f., Fußnote). 17—19 Rennebaum (vgl. 33, 6†) spricht in seinem von Jean Paul parodierten Programm von 1789 von „dem großen Geist der Griechen und Römer“, s. II. Abt., III, 101. Vgl. Ungedult 15,9 .

    How to cite

    Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_376.html)