Von Jean Paul an Christian Otto. Ohne Ort, Ende März 1793.

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Brieftext

[Ende März 1793?]

  • 1. Mache sinliche Gegenstände zu sinlich thätigen: z. B. stat:
    „durch die Wüsten werden die Reiche verknüpft“ — Herder: die
    Wüsten verknüpfen die Reiche. — Ein Bild streicht das andre
    aus. — Die Statue eines grossen Mannes wirft in die fernsten
    Jahrhunderte Funken.
  • 2. Ich unterstrich das Sinliche, das alzeit von Bewegung oder
    Raum her ist. So sage nie „Zeit“ sondern alzeit individueller: „Minute,
    Säkulum, Jahr“ — nie „Ort“, sondern „Land, Welttheil, Stadt.“ z. B.
    das Licht überspringt Länder und Jahre (stat Zeiten und Oerter)
    und fält in entfernte.
  • 3. Fält dir das rechte Verbum nicht ein: so ändere nur die Präpo
    sizion, die bei ihm ist, z. B. [stat]: „auf et[was] losgehen“ nim an:
    so wird dir einfallen: an et[was] andringen, losprallen, ansprengen.
    — Nim malende Präposizionen, d. h. stat durch, bei, ohne, wider,
    nim: vor (mit Ackusativ), hinter, um, etc. — Jedes Verbum lässet

    mehrere Präposizionen zu: zu decken, bedecken, überdecken; ab-, los-,
    weg-, zurük-, fortg
    ehen.

  • 4. Liegt der Hauptbegrif im Verbo: so mach es zum Substantiv:
    stat „sich die Freuden des Lebens so armselig ersezen lassen“ nim:
    „sich mit einem armseeligen Ersaz dieser Freuden befriedigen“.
    Ueberhaupt leg’ ins Verbum so wenig als möglich.

  • 5. Nie ein unnüzes Adjektiv, sondern entweder eines von Farbe
    〈Auge〉 oder Bewegung hergenommen: Herder: gebükte (stat niedrige)
    Sklave, Jacobi: wiegender Tirt — bleiche Frucht (stat unreife) —
    Herder liebt Partizipien als Beiwörter: ziehende Völker, berechnende
    Kunst. Sonst lieber gar kein Adjektiv, deren Weglassung (sobald nicht
    malerische, oder lokale da sind) dem Styl den Schein der Leichtigkeit
    ertheilt. —

  • 6. Ausserhalb der Satire, sind fast alle Adverbia schädlich und unnüz.

  • 7. Eine jede geistige Erscheinung ist entweder eine Wirkung oder
    Ursache oder Begleitung einer körperlichen: du kanst also allemal jener
    die Hülle von dieser umgeben: z. B. stat: „Menschen, Verstand,
    Wahrheiten aufhellen“ nim: den Köpfen Gehirn, Augen, Welttheilen
    Licht geben.

  • 8. Alles individuel, stat genus Unterspezies, stat des Ganzen den
    Theil: stat Neger, Plantagenneger — stat Franzosen, Pariser —
    stat Haus, Zimmer — stat Raubthiere, Leopard — stat Flügel,
    Falkenflügel.

  • Zu N. 3 sez’ ich noch: verwandle den Ackusativ in Dativ durch bei
    gesezte Präposizion mit. Z. B. st[at] die Sonne zieht die Erde an —
    nim: die Sonne verknüpft, behängt sich mit der Erde —

  • 9. Ein metaphorisches sinliches Verbum löse in seine grössere
    sinliche Handlung auf: stat die Völker verblühen, nim: die Völker lassen
    ihre Blüten fallen — stat sterben: ins Grab fallen etc. — stat der Zufal
    befruchtet unser Genie nim: der Zufal wirft den Samenstaub in
    dieses.
  • Textgrundlage

    Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 1. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1956.

    Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

    H: Berlin JP. 3 S. 4°. J: Nerrlich Nr. 5a ×. 380,21 sinlich] nachtr. 24 in] davor gestr. über 381,27 sinliches] nachtr. grössere] nachtr.

    Datiert nach 376, 34f. Die Regeln und Beispiele finden sich z. T. auch im § 78 der Vorschule der Ästhetik. 381, 3—6 Diese Regel widerspricht einigermaßen der 376, 21ff. und 379, 9f. gegebenen.

    How to cite

    Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_421.html)