Von Jean Paul an Helene Köhler. Schwarzenbach a. d. Saale, 7. Juni 1793.
Brieftext
Mademoiselle,
Ich wolte, heute wär’ Ihr Geburtstag — nicht blos, weil der
heutige Tag ein Galatag der Natur ist — oder weil ich Ihnen
gerade
schreibe — oder weil ich mich mit dem sanften heiligen
Feuer Ihres
wiedergelesenen lezten Briefes wieder erwärmt habe
— oder weil ich
einen Ihres Briefes würdigen Uebergang gemacht
und in den auf
Blumen und am Himmel blizenden Morgen getreten
bin: sondern
wegen aller dieser Ursachen zusammen und
weil ich wieder hinaus
möchte, um Ihnen in meinem Innern
mitten unter dem Morgen
taumel der bunten
und melodischen Erde Glük zu wünschen. „Ach da die
längsten Tage im Kalender — würd’ ich sagen — gerade die schön
sten sind,
anstat daß in der Seele des Menschen gerade die schönsten
die kürzesten sind: so nim, gütiges Schiksal, dem Herzen, das schönere
Tage giebt als
erlebt, nicht alles was es verdient. — Ein blauer
Himmel wie
dieser möge ihr Blumenleben einfassen — ihre Thränen
müssen nur aus einem heitern Himmel, wie
diese Thautropfen, fallen
und ihr Glük
verkündigen, anstat es zu betrauern. — Und du Ewiger,
der
du aus der Winter-Wüste und aus dem Frühlings-Schmuz diesen
überblümten Edentag, und aus dem gequälten erdigten, taumelnden,
pochenden Menschenherzen ein stilles melodisches, reines
schafst:
erhalt’ihr das leztere und der
Lohn der Tugend sei die Fortdauer der
Tugend.“
Ich wünsch’ Ihnen alles das, obgleich der Geburtstag des Wunsches
nicht der des Gegenstandes ist. Die Seele feiert bei jeder
guten That
einen Geburtstag.
In Ihrem Briefe freuet mich Ihre Freude über einen „leiden
schaftlosen Tag“. Wir Manspersonen sind dazu gemacht, ewig
zer
rüttet zu werden — die
Frauenzimmer sind Blumen, die in der Hize
ihre schönen Farben und Reize
verlieren. —
Diese hergeflognen Zeilen wären eine zu unbedeutende Antwort
auf die Ihrigen: sie sind nur ein Postskript zu meinem künftigen Briefe,
womit ich zwei vergangne — und, wenn Sie wolten, einen
künftigen —
beantworte.
Ich habe zu einer Bitte, die ich leider schon mündlich dreimal gethan,
zum viertenmal kaum schriftlich das Herz — nämlich zur Bitte,
daß
Sie mir bis auf den Dienstag die zwei bekanten Aufsäze
leihen
möchten. Sie sind zwar abgeschrieben bei mir, aber nur
abgeschmiert.
Ich wil Ihnen gerade zu gestehen warum
ich darum bitte: ich wil sie
einer Freundin zeigen, die hier
durch eigne und fremde Schuld im
falschen Lichte steht und die ich genug zu kennen glaube, um
hier vor
Ihnen ihr Lob zu äussern — ich meine die Renata.
Seit 1½ Jahren ists mein Grundsaz, von jedem Mädgen — da das
weibliche Geschlecht entweder vom mänlichen Argwohn oder vom
weiblichen Hasse beurtheilt wird — besser zu denken als jeder andre,
den Liebhaber ausgenommen.
Sie mögen mir indeß abschlagen was Sie wollen: so bin ich doch
mit gröster und unveränd[er]licher
Hochachtung
Fr. Richter
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_429.html)