Von Jean Paul an Renate Wirth. Bayreuth, 3. September 1793 bis 4. September 1793.
Brieftext
Dienstag früh um fünf Uhr.
Meine theuerste Freundin,
Es ist närrisch, daß ich gestern ankomme — morgen abgehe — und
heute doch schreibe — da ich wol eher nach Schwarzenbach
komme als
der Brief nach Hof. Mein und Ihr Schwestergen und der
Bruder
tranken in Gefrees neben einander Kaffee — auf dem ganzen
Wege bis
an die Hauptwache liefen unsre Kutschen neben einander. Ein Zufal! —
Da ich abends
um 8 den Sohn des schwarzenbacher Pfarrers zum
Stiftsamtman Völkel einlogiere: wohnt der gerade über dem
Kopfe —
Ihrer F[rau]
Tante. Zweiter Zufal! Der gute Himmel stekt mir wie es
scheint alle Blumen in die Chausseen wo sonst keine gedeihen; mein
Himmel
nach dem Tode wird in einem steten Reisen durch den Himmel
bestehen. —
Das Jämmerlichste ist bei allen dem daß meine Zunge und meine
Feder sich herumbeissen, wer Ihnen erzählen sol: — — dasmal
wird
die Feder Herr.
Es giesset der Himmel jezt, und meine Feder sols auch so machen.
Der ganze Tag steht vor mir hin mit lauter Visitten wie mit
Trachten besezt — Es ist nichts schöners als so (wie ichs mache) zur
Thüre hineinfahren — die Person zum erstenmal sehen — ihr
einen
geliebten Brief hingeben — in drei Minuten bekant
werden — in
fünf Minuten lustig werden — und in achten
verliebt — —
Schütten Sie alle liebe Bayreutherinnen zu einem Kornhaufen
zusammen — die Bayreuther sind nur Kornwürmer —: so wil ich
sie
leichter alle kommandieren als die Vorstädterinnen in
Hof; denn sie
schicken sich eher ins Tolle als Höfer, die eigentlich
keine Städter,
sondern nur Vorstädter, nur Altstädter sind.
Du liebes Bayreuth, auf einem so schön gearbeiteten, so grün an
gestrichenen Präsentierteller von Gegend
einem dargeboten — man
solte sich einbohren in dich, um
nimmer heraus zu können — …
Ich schreibe so lange als es regnet, damit ich mich um den ganzen
Himmel nichts scheere und meine Heiterkeit ohne die seinige
be
halte. — —
Gestern gieng ich unter Finsternis, Regen und Musik der Vogel
schüzen-Armee zum guten guten — — —
Mandel! …
(Gerade war eine invitierende Magd bei mir, die allein soviel
Freundlichkeit hat, daß damit die ganze Kappens oder Kapuzen
Familie auszustatten wäre)
Unser theuerer Mandel hört ohne Hörrohr, wenigstens mein
Sprachrohr und braucht die Krüke wie wir den Stok, zu
nichts. Er ist
kein Jude sondern ein Philosoph — und den
[
unleserlich gemachtes
Wort
] hätte man in ihrer Jugend so viel Verstand einprügeln
sollen
als sie ihm [
zwei unleserlich gemachte Wörter
] ausprügelten. Diese
schöne Seele
solte nichts feil haben als — Wahrheiten; sie ist für einen
Juden und Kaufman zu edel. Erst diesesmal — das erstemal nicht —
zog ich die Blätter aus einander, die diese für ein besseres
Leben reife
Frucht verhüllen. Wir disputierten fast
blos — ich konte gar nicht fort
— ein alter Jude mit einem
Barte so lange wie ein Kometenschwanz
kam dazu und sprach
dazu und recht gut — Sein erstes Wort klang
Renata — Seine
edle Wärme für Sie ist so gros daß ich nicht weis,
welches
schöner ist, diese Wärme zu empfinden wie er oder zu ver
dienen wie Sie. Wir stritten über die
Freundschaft, auf welche der
Uebergang von Ihnen nicht
schwer ist. Er glaubte an zwei Stufen —
an die
theilnehmende, liebende, die aber in Proben erliegt — und an
die helfende, die in der Noth wie ein Gott die Arme reicht und heraus
hebt. Ich strit, weil ich noch an eine
dritte höhere Stufe glaube:
Um 9 Uhr
an jenen Einklang der Brust, wenn Eine Saite, von einem Herzen
zum andern gespant, auf beiden zittert, sobald sie der Ewige
mit seiner
grossen Welt berührt — an jene Aehnlichkeit, wo
die Gedanken schon
Worte sind und die Blicke schon
Umarmungen — wo äussere Vortheile
nicht knüpfen,
äussere Nachtheile nicht trennen — wo die zwei Ueber
glüklichen wie zwei Kinder neben einander in den zwei
Armen des
Unendlichen liegen und einander trunken anblicken
und sich mit ihren
Augen die Liebe gegen den Ewigen, der sie
begeistert, sagen — — Diese
Freundschaft ist uneigennüziger
als die Liebe und seltner und grösser als
die Liebe, deren
jeder fähig ist..
Seit 9 Uhr bin ich so im Feuer: nicht weil ich die Flotowin gesehen,
(das geschieht erst abends um 7 Uhr) sondern weil ich
draussen war und
weil mir Mehringer aus ihrem Tagebuch die
von ihm diebisch kopierten
Stellen über Hof vorlas. O fesseln und achten Sie diese
Karoline! Ihr
ganzes Leben und zwanzig Städte legen kein zweites solches
schönes
Herz an Ihres: dieses warme Herz bleibt
Ihnen ewig wenn Sie es
nicht abreissen, es ruht an Ihrer
Seele schlagend und glühend so lange
wie die Tugend.
In diesem Tagebuch sind ihre Eden-Stunden in Hof, am meisten
die im Gartenhaus wie ein Abendroth wiedergestralet. Wenn
es einen
Engel giebt, der Sie beide behütet — und
giebts keinen: so ists der un
endliche
Engel, der uns alle trägt: — o so schlinge, guter Engel, die
Arme dieser geliebten Seelen noch oft so in einander wie in jener
Nacht — so drücke sie oft an einander, daß sie weinen vor
Wonne —
und wenn sie sich wieder geschieden haben: so
richte ihre Augen gegen
deinen hohen Himmel und
gieb ihnen den Gedanken: droben unter
den Sonnen bleiben
wir ungetrent! —
Bis nach Brandenstein ergos sich ihr sanftes Auge vor Liebe, vor
Sehnen, vor Schmerz — ich schreib’ es noch einmal: Sie
haben ge
funden was Sie so lange
begehrten, ketten Sie sie ewig an sich.
Aber ich werde zu enthusiastisch für beide, wenn ich fortschreibe:
ich thu’ es lieber mündlich.
Um 11 Uhr.
Bei Krausenek war ich gerade — eine Kleine sah ich und die Mutter
und den Sohn und den dazukommenden Thoren Boie — aber
Marianne nicht.
Mitwoch um 6 Uhr.
Auch diese sah ich — die Flotowin sah ich und hörte sie singen —
Sie sehen wie viel ich mündlich zu sagen habe. Aus Zeitmangel
brech’ ich alles ab. — Nur aber noch dieses Wort: Das
liebevolle
Betragen Mandels und der Iris gegen mich
sezt ein grosses von
Ihnen gegen mich voraus und ich sehe überal recht gut Ihre
gute
Hand mir andre Hände geben. Haben Sie meinen herzlichen
Dank>
dafür, liebe Renata; — ich bin wieder recht sehr
Ihr Freund und ich
freue mich wie ein Kind auf unsere ersten
Zusammenkünfte und auf
unsre Erzählungen. Leben Sie
tausendmal wol, Liebe, theuere Freundin
Freundes
Richter
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_441.html)