Von Jean Paul an Caroline Liebmann. Ohne Ort, 4. Dezember 1793.
Brieftext
Abends 6 Uhr.
Ich wil thun wornach ich mich so oft sehnte, ich wil mich ausdrücken
und stat der Klaviertasten die Feder nehmen — O wärest du in
diesen
Stunden stat deines blassen rinnenden Bildes bei mir,
damit ich meine
Arme, die die leere Luft umfangen
wollen, um deine legte und damit ich
an deinem Angesichte
sagte: schau mich an, ach ich möchte meine
Seele in meine
Thränen giessen und so mich auflösen in Liebe und
Wonne. Warum
lieb ich dich denn heute so? Warum schliess ich dir ein
Herz
auf, in dem du noch die Wunden siehst die du ja selber hinein
gerissen? — Warum? Deswegen: ich habe mir heute zum erstenmal
etc.
wieder gemalt — ich und du sind da — ein blauer Abend, ein
goldner
Abend hängt zitternd und blinkend über die Erde — jede
Blume
spielet und nicket als wolte sie sagen zu mir: brich mich
und lege mich
an das gute Herz, das heute neben dir weint — Der
Mond fliesset in
Silber-Nebel zergangen über die
Gefilde, über die Blätter — Ach
alles ruht unter Blüten, unter
Träumen, neben geliebten Menschen,
und wer noch wacht ist so
glüklich wie wir —
O gute liebe Freundin, las mich weiter malen — wenn nun ich und
du, überwältigt vom Himmel um uns, in Ruhe und Freudenthränen
zergangen, vom Sternenfelde über die Erde gehoben, von Tönen
und
Gesängen um uns bebend, sterbend vor Freude, schweigend
vor
Glük, wenn ich dich da umfaste und brennend an mich
drükte: o dan
wär’ ich glüklich, dan würdest du schweigen, dan
würde ich sagen: siehe
das ist mein schönster Tag, heute geb’
ich dir meine Freundschaft auf
ewig, ruhe ruhe ewig an
diesem warmen Herzen und schlage jezt deine
mit Thränen
gefülten Augen auf und schau mich an damit ich vor
Freude
vergehe und dieses glänzende Bild niemals niemals vergesse.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_448.html)