Von Jean Paul an Erhard Friedrich Vogel. Hof, 22. Juli 1783.
Brieftext
Hochzuvererender Her Pfarrer,
Ihren Brief beantworte ich gern und darum früher als Sie meinen
beantwortet: denn seine Gründe, die Ihnen öfter Ihr gutes Herz als
Ihr guter Kopf diktirt zu haben scheint, und seine
Freimütigkeit, für
die ich Ihnen mit nichts als der Erwiederung
derselben danken kan,
erleichtern mir die Widerlegung
d. h. meine Entschuldigung. Jeder
Ihrer Kanonen wil ich eine
Feindin gegenüber pflanzen — wiewol Sie
im Grunde nur mit Einer
Kanone feuern, und blos durch die veränderte
Richtung ihrer
Lavette verschiedne Seiten beschiessen. Sie irren sich
ganz,
wenn Sie meine Kleidung für eine blosse brittische Mode er
klären; sie ist auch eine
Leipziger d. h. eine deutsche. In
Leipzig, wo die
Mode ihre Erfindungen nicht wie in kleinen Städten aufdringt,
sondern nur anpreist und wo ieder sich eben so frei kleidet
als er denkt,
trugen sich vor etlichen Jaren die meisten so;
iezt hat sie nur den Reiz
der Neuheit aber nicht der Gewonheit
verloren, und ihre Anhänger
unter den Schauspielern und
Studenten, und in andern Städten unter
den Gelerten, reichen
allemal hin, einen, der sie noch trägt, in den
Augen derer zu
rechtfertigen, die die Beurteilung einer Handlung
nicht den
eignen Augen, sondern fremden Zungen, nicht gesunden,
sondern vielen Augen anzuvertrauen
pflegen und das Schütteln der
Vernunft durch das Nikken
von hundert Par langen Oren widerlegt
glauben. Ja diese Mode
ist eine von den seltnen, auf deren Seite die
Vernunft
getreten. Denn die Verschneidung der Hare erspart Geld,
Zeit,
Verdrus und befreiet vom Friseur, nach dem sich die Ausgänge
vorher haben richten müssen und der sich alle Morgen eine halb
stündige Folterung des Kopfes erlaubt. Und die Offenheit des
Busens
hindert das Schwizen, das gefärliche Unterbinden gewisser
Adern des
Halses und vergnügt durch das Gefül der bequemen
Entiochung. Also
trift es mich nicht, wenn Sie sagen, eine
Ameise mus sich wie die
andre tragen — denn ich trage mich ia,
wie andre Ameisen in Leipzig und
in Berlin, nur nicht wie die Ameisen in Schwarzenbach an
der Sal —
Es trift mich nicht, wenn Sie meine eignen Exzerpten mir an den
Kopf werfen; die Stelle aus dem Young ist noch überdies nur
eine
wizige Sentenz, aber kein Beweis: denn es ist noch die Frage, ob
die
eignen Torheiten oder die fremden besser sind — und wenn Sie
in
Ihrem Briefe mir mit Young zuruffen „wenn du
unmodisch sein
wilst, so sei weise“ so verfallen Sie und Young
in einen Widerspruch
mit den vorhergehenden Zeilen. — Die
Sprichwörter sind nur
Sentenzen, aber keine Beweise; ia sie
beweisen obendrein zuviel. Denn
wenn ich nicht wider den Strom
schwimmen sol, so wird dieser Strom
nicht selten auch
meine Tugend scheitern machen — denn das Reich
des Lasters ist
eben so gros und ausgebreitet als das Reich der Mode;
und wenn
ich mit den Wölfen heulen sol, warum sol ich nicht mit
ihnen rauben? Die Schlüsse des Seneka
treffen noch weniger; sein
Wiz leuchtet auf der Zündpfanne und die Entzündung desselben
droht
mit einer Kugel, womit er die Flinte zu laden
vergessen. Sequere vitam
meliorem quam
vulgus, non contrariam; aber warum denn? und
wenn nun
vita melior und contraria oft
Synonymen wären? Ferner
publici mores sind immer den boni
mores entgegengesezt; es läst sich
also eine Temperatur
zwischen beiden nicht so leicht treffen. Non
populum in te vitae novitate convertas; tue ich das? und
Seneka’s
non oder ne beweist ia nicht, daß
man es nicht tun dürfe. „Ist die
Schale verunstaltet, so leidet
auch der Kern“ sagen Sie; aber warum
denn? Und ferner ist ia
noch erst auszumachen, was an der Schale
Verunstaltung ist. Sie
halten das am Diogenes für eine Verunstal
tung, was Rousseau, Wieland und der
vortrefliche Verfasser der
Antoinette für eine Verschönerung halten. Raubt diese sogenante
Verunstaltung diesem grossen Manne seine lebhafte Philosophie,
sein
gutes Herz, seinen lerenden Wiz, seine Tugenden? Sie
raubte ihm
nichts; aber sie gab ihm Ruhe, Unabhängigkeit von
fremden
Meinungen und von quälenden Bedürfnissen und die
Unverlezbarkeit,
auf deren Bewustsein er die Bestrafung iedes
mächtigen Lasterhaften
wagen konte. Grosser Man, danke Got,
daß du in einem Jarhundert
geboren wurdest, wo man deine
Weisheit noch bewunderte, stat daß
man sie im iezigen bestrafen
würde. Ins Tolhaus würden die Tollen
den einzigen Klugen füren;
aber du würdest das Tolhaus, wie nach
Seneka’s Ausspruch
Sokrates den Kerker, veredeln! —
„Der Maler wird durch Beleidigung des Kostume lächerlich“ dies
ist war; aber in Beziehung auf mich nicht passend, sondern nur wizig.
Um gleiches mit gleichem zu vergelten, dürft’ ich nur sagen, die
Gewändermaler sind nicht die grösten in ihrer Kunst, sondern
die,
deren Pinsel nicht dem Schneider, sondern Got nachschaft
und nicht
Kleider, sondern Körper malet. Aber was geht
mich der Maler an?
Seine Geburten können blos durch Gestalt d.
h. durch Schale ge
fallen; aber ist dies
meine Bestimmung? brauch’ ich mit meinem
organisirten Kot zu
gefallen? kaum wenn ich heiraten wolte!! Übrigens
hab’ ich ia
oben bewiesen, daß ich das Kostume nicht beleidigt. — Sie
sagen „die Ameisen bringen die Ameise um, die sich nach ihrem eignen
„Kopfe trägt“ — dies past wiederum nicht auf mich; denn ich
erkrieche
mir von keiner Ameise ein Amt, hänge von keiner ab,
sondern lebe in
meinem eignen Loche und von meiner eignen
Arbeit. —
Warum ich nicht nakt gehe? — a. weil mir die Geseze es
verbieten,
die die Beleidigung der öffentlichen
Sitsamkeit mit Tolhaus oder
Gefängnis anden; hierin komt es
nicht auf meinen Willen, sondern auf
mein Vermögen an. Ich darf also nicht nakt gehen; aber bekleidet
gehen wie ich wil, das darf ich. b. weil mir es ausser der Obrigkeit
auch mein Körper verbietet, den für seine Entblössung die hiesige
Abwechselung von Kälte und Wärme, Regen und Sonnenschein hart
genug bestrafen würde. c. weil ich
die Geselschaft aller derer, die
Kleider tragen, entberen
müste. Eine solche Entberung würd’ ich nicht
verschmerzen
können, da ich alsdan von allen denen, die ich belachen
mus, um
sat zu werden, niemand mer hätte als mich selbst. Ich könte
noch tausend Unbequemlichkeiten, welche gänzliche Naktheit vor
meiner iezigen Bekleidung voraus hat, anfüren; allein ich
schneide die
fernern Beantwortungen ab, die Sie eben so ser
ermüden würden als
mich selbst. —
„Die ware Philosophie wil nie, daß sich andre nach uns richten,
„sondern daß wir uns nach andern richten“ sagen Sie endlich;
aber
verlang’ ich denn, daß sich andre wie ich tragen sollen?
Und eben darum
müssen auch diese andern nicht verlangen, daß
man sich wie sie tragen
sol. Bin ich ihnen anstössig, so sind
sie mir auch anstössig; das klügste
ist also, nur sich, aber
nicht dem Nachbar die Schellenkappe zuzuschneiden.
Überhaupt halte ich die beständige Rüksicht, die wir in allen unsern
Handlungen auf fremde Urteile nemen, für das Gift unsrer Ruhe,
unsrer Vernunft und unsrer Tugend. An dieser
Sklavenkette hab’ ich
lange gefeilt; aber ich hoffe kaum, sie
iemals ganz zu zerreissen. So
begehe ich z. B. eben darum in
Leipzig mit Absicht sonderbare Hand
lungen, um mich an den Tadel andrer zu
gewönen; und scheine ein
Nar, um die
Narren ertragen zu lernen. Hierin sind Sie andrer
Meinung, das weis ich; aber ich wolte Sie durch diesen Brief auch
nicht bekeren, sondern mich nur rechtfertigen. Immerhin mögen
Sie
künftig glauben, daß ich aus falschen Gründen handle; wenn Sie nur
nicht glauben,
daß ich one Gründe handle. — Überhaupt scheint mir
dieser ganze Brief so lächerlich, daß ich mich vor mir selbst
wegen den[!]
Inhalt desselben nur durch Ihr Beispiel entschuldigen
kan. Durch eben
dasselbe werden Sie die Freimütigkeit desselben
entschuldigen. Sie
erschrekten mich mit einem so lauten „Schach
dem König!“ daß ich
über das Spiel den Spieler vergas und
nichts zu verhüten suchte als
die Enttronung meines Königs. Da
übrigens das Disputiren in sovielen
Stükken mit dem
Schachspielen übereinkomt: indem man dort Ideen
auf Papier, und
da hölzerne Figuren auf dem Bret gegeneinander zu
Felde stelt;
so hoffe ich, daß die beiden Sachen auch darinnen einander
änlich bleiben werden, daß sie die Entzweiung der Spieler nicht über die
Dauer der Veranlassung verlängern. Die besten Freunde zanken
sich
bei dem Spiel; allein sobald die Spieler das
Schachbret — den
campus martius — zur Aufbewarung der versönten Krieger zu
geschlossen, so schliessen sie ihre Herzen
auf und trinken in freund
schaftlicher
Gesprächigkeit das bittre Lagerbier mit der Aufmerksam
keit, der sie vorher nur das Spiel gewürdigt. Das Gegenbild
zu diesem
Gleichnis darf nicht blos Ihren, es wird auch
meinen Brief ver
schönern; und selbst, wenn
Sie Ihre Toleranz nur auf heterodoxe
Meinungen, nicht auf heterodoxe Kleidungen ausdenten, so würd’
ich
Sie im ersten zu ser nachamen, als daß ich Sie im andern
nachamen und
gegen die nicht tolerant sein solte, die es nicht
sind.
Dem Präludium Ihres Briefs bin ich auch ein kleines Akkom
pagnement schuldig. Die Leute, die Sie Mükken nennen, werd’
ich nie
für Mükken, wenigstens nicht in Beziehung auf mich
ansehen. Auch
hies ich sie nur Frösche in Rüksicht auf
Nachtigallen, aber nicht [in]
Rüksicht auf mich, der ich nicht einmal zu einem Hänfling d. h.
zu
einem Echo der Philomelen tauge. Ich bin mit dem Stolze
dieser
Personen über das Dasein ihrer
Verdienste einig; aber ich bin nur
nicht mit ihrem
Hochmut über die Anzal derselben einig; ihr Stolz
mus Recht haben: denn sonst würden Sie ihre Geselschaft ganz
ver
meiden; allein ihr Hochmut kan doch
nicht Recht haben: denn sonst
würden Sie sie nicht Mükken
schelten.
Sie vergleichen Sich mit dem Kato; in der Grösse des Ernstes, aber
nicht in der Anwendung desselben mögen Sie ihm
änlichen. Denn
eben dieser Man war so wenig der Resonanzboden
fremder Mäuler,
daß er nach dem Essen (wie Plutarch berichtet)
one Unterkleid und bar
fus auf dem Markt spazieren gieng — und
noch überdies als Konsul.
Hier folgen Ihre Bücher, von dem gewönlichen Dank und der
gewönlichen Bitte begleitet. Die Briefe der Ninon sind (nach dem
Augenschein und der Geschichte, davon der erste ein testis ocularis und
die andre eine testis auricularis ist) apokryphisch und gehören einer
andern Mutter. Die Ninon verheuratete sich weder mit einer
subluna
rischen Mansperson noch mit dem
supralunarischen Phöbus; sondern
lies sich von beiden blos augenblikliche Genüsse ihrer
Reize abstelen
und gebar daher weder Bücher noch Söne und
Töchter, sondern nur
wizige Einfälle und Bastarte. — Eben so
ist La Bruy[e]re nicht der
Vater, sondern höchstens der Grosvater des dritten Teils seiner
Karaktere, der an Wiz, Satire und Menschenkentnis blos der
Stief
bruder der andern ist. — Man
traktirt gewönlich Leute, von denen man
auf eine lange Zeit
Abschied nimt; da ich in meinem künftigen Briefe
auch Abschied
nemen und in vierzehn Tagen Hof auf lange verlassen
werde, so hoff’ ich von Ihnen, daß Sie meinen Geist noch einmal
mit
Ihren Büchern traktiren. Der Küchenzettel der geistigen
Speisen wäre
folgender:
etliche neue Bände der Chronologen, deren Verfasser die Britten so
ser hasset wie Sie, der mir aber demungeachtet so ser gefält wie
Sie —
Sie haben in Ihrem lezten Brief die Beurteilung der Stelle in der
Piece des H. Doppelmaiers, die ich Ihnen angedeutet, vergessen.
Drei lere Seiten sind eine starke Versuchung für mich, allerlei
Dummes von mir zu geben; allein mein Kopf ist iezt zu erschöpft, sie
auszufüllen, und ich bin des Schreibens müde wie Sie sat des
Lesens.
So wie der Buchbinder die Zal der volgedrukten
Blätter mit einem
leren krönet, das vielleicht nicht lerer ist
als die vollen: so mag das
lezte Blat meines Briefs das Amen der
drei andern sein. Vielleicht
würde ich noch diese Seite
wenigstens bis zum ersten Viertel sich
vergrössern lassen; wenn
ich dem Zuruffe des Balzak folgte, der mir
anrät, an eine spizigere Pointe zu spiesen
Hof den 22. Jul. 1783.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_52.html)