Von Jean Paul an Heinrich Voß. Bayreuth, 22. Dezember 1821 bis 23. Dezember 1821.
Brieftext
Mein geliebter Heinrich! Wie oft wirst du mich seit einem Viertel
jahre angeklagt — und entschuldigt —
und wieder angeklagt haben und
doch wol zuletzt
entschuldigt, mich armen Teufel! Ach, ich konnte nicht
anders. Du kannst denken, wie ich gegen alle schweige, da ich gegen dich
schwieg, sogar auf Kosten meiner größten Postfreude, nämlich der
wöchentlichen
über deine Blättchen.
Gerade heute kam dein erquickendes Blatt. Mein Schweigen ent
stand aus einer Arbeit für das
MorgenblattEine allegorische Darstellung der
Luth[eraner] und Katholiken, oder
viel
mehr der Lichtfreunde und
Lichtfeinde.
, auf deren Vollendung
alle Briefe warten mußten — aus dem Hoffen auf den 22ten November
d. h. auf den
Nachschein meines Verklärten — und aus — — —
Schmerz. Ich
habe keinen Abschnitt sondern einen Durchschnitt meines
Daseins erlebt und Freude wird mir nun schwer,
ausgenommen die
wissenschaftliche im Lernen und
Schaffen. Aller Verlust voriger Menschen
gleicht dem
letzten nicht und meine Sehnsucht wächst peinlich. Nicht über
Ihn brauch’ ich Trost, sondern über das Entbehren Seiner
Liebe. Indeß
hab’ ich doch die Kraft, stets, wenn ich
will, den zersetzenden Gedanken
an Ihn abzuweisen, der mir
bei jedem griechischen Buche, ja bei dem
Worte Philolog an die Brust springt; aber hören und
sehen von Ihm
kann ich schwer. — Und damit genug! — Meinen
Körper beschützt der
milde Winter, aber noch immer kein
zuträglicher Wein. Ich über
arbeite
doch den 3ten Band des Kometen. Das starke Buch über
die
Unsterblichkeit fodert Anstrengungen, die ich nur im
Sommer meiner
Gesundheit ansinnen darf, weil ich
bei dem Überblick von 30jährigen
Vorarbeiten gefunden,
daß diese überall in alle Tiefen der Philo
sophie eingreifen. Aber 1000 nassen oder dunkeln Augen
werd’ ich ganz
neue lichte Stellen und Reiche im künftigen Lande des
Seins mit Kühn
heit zeigen können;
alles ohne Beihülfe der Bibel. Es gibt — durch die
Jahrhunderte — größere Blicke ins All als die
eines Peter und Paul. —
„Heiligung der Mittel durch den Zweck“ ist deinem ächt lutherschen
Vater ja
album graecum und Teufelsdreck; und „Entschädigung
für
Absatz“ könnte ja Perthes von jedem Rezensenten
[?] fodern.
Gott lohne dir deine Mühe um den Geschiednen, diese höhere Leichen
begleitung. Hier 45 fl. für
die Köster. — Von Landfried ist
meine
Frau über alles quittiert. Der D.
Nebel — der so schrecklich unwissend
Seine Nervenkrankheit behandelte
und dessen Rezepte blos auf 1½ fl.
in der Apotheke sich
beliefen — mag selber sagen, wie viel er für seine
Irrthümer fodert. — Nur ein Parzen- und Furien-Verein (wozu auch
Sein Freund Dr. Kapp)
von Menschen und Umständen konnten [!]
eine
so festgebauete Natur wie Seine, zwischen Sargbretern
zersägen. —
So viele Schulden bei mehr als 400 fl. in 9
Monaten Einnahme setzen
freilich fremde Einnehmer wie z. B. den geniesiechen und süchtigen
Henne, den dürftigen Merk u. a.
voraus. 25 fl. lieh Er, wie Er mir
selber schrieb, einem Studenten, der nur 9 zurück
zahlte. —
Für Alles was du thust, hast du nicht nur meine Stimme voraus,
sondern auch meine innigste Danksagung nach.
Von meinen Mumien und grönländischen
Prozessen sind erst die
ersten Theile fertig: kommen die zweiten, so kommt alles zu dir.
Wie oft setzten mich Shakespeare und Aristophanes — die ich immer
wieder lese — in dein Zimmer auf dein Kanapée neben dich
seitdem!
Deiner herrlichen Mutter kann ich — so wie meine Frau, die Kraft
und Verstand genug hatte, um die Größe von beiden an ihr
zu errathen
— nie genug danken, so wie dem so
theilnehmenden Vater. Welches
neue Jahr soll ich euch allen wünschen? Nur eines, das
auch nicht die
fernste Aehnlichkeit mit meinem alten
hat.
Bringe noch aus meiner verwundeten Seele ein frohes Neujahr allen
Paulus — und Daub — und Schwarz — und Dappings — und
Thiedemanns — und der Bürgermeisterin! Dein
Jean Paul Fr. Richter
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VIII_236.html)