Von Jean Paul an Ernestine Voß. Bayreuth, 7. Februar 1823.
Brieftext
Verehrteste Frau! Eher als heute — im alten Todtenmonat —
konnt’ ich nicht an Sie schreiben aus Schmerz; denn mehr
konnt’ ich,
wenn ich die Meinigen abrechne, nicht verlieren
als durch das Dahin
gehen meines
Heinrichs, dem ich schon die Fürsorgen bei meinem Vor
ausgehen übertragen hatte. Ach Er und
mein Max liegen in meiner
Seele in Einem Sarge; denn ich weiß, wie beide lieben
konnten.
Wie viele andere Kräfte Ihr Heinrich auch hatte, Eine
himmlische
strahlte und glühte in ihm allmächtig, die
Johannes-Kraft der Liebe.
Wie er Sie liebte, wie er seine Freunde liebte, dieß weiß
ich durch
Schmerz und Freude. Auf der Erde erwart’ ich
niemand mehr, der mich
zum zweiten male so liebt; und so
darf wol noch mancher Freund von
sich sagen. Seine
Liebe war die eines Starken, die fest vertrauende,
die
fortopfernde, nicht die eines Weichlings zufälliger Aufwallungen;
sein elastisches Herz schlug eben so gut und so stark wider als für. O du
unersetzlicher Heinrich! — Aber eben dieses Lieben verbürgt
dir und uns
das Wiedersehen, weil ohne dieses alle Liebe
nur eine von einem Nichts
gegen ein Nichts sein würde! — Die
Wissenschaft braucht zu ihrem
Genuße keine Unsterblichkeit,
aber die Liebe braucht zu ihrem die des
Gegenstandes.
Mögen Gemahl und Söhne Ihr Mutterherz so lange trösten und
verbinden, bis die Wunde sich schließt, indem es
bricht!
Der vortreffliche Abraham verzeihe mein Schweigen auf seine so
liebende Mittheilung! Ihn, diesen Bruder, muß ich bald sehen; und
Kreuznach liegt mir daher
weit näher als das Heidelberg voll mehr als
Eines Schmerzes.
Den rüstigen Paulus, diesen rechten Vorfechter und Nachfechter für
Licht und für Recht, der mich eben durch seine Rezensionen
Wellen
treters und Grotefends (Jahrb.
3. Heft. 1822) unendlich erquickt und
gewonnen, grüß’ ich
durch Sie, so wie auch die Seinigen.
Gott erhalt’ Ihrem Mutterherzen den höchsten Trost, den herrlichen
Gemahl!
Jean Paul Fr. Richter
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VIII_360.html)