Von Jean Paul an Ernestine Voß. Bayreuth, 7. November 1823.
Brieftext
Verehrteste Freundin! Mögen Sie die so späte Erfüllung Ihres mir
so angenehmen Wunsches durch meine Geschäfte und meine
Lauf
zerstreuungen — für die
Gesundheit — entschuldigen. Ohne neue Durch
sicht send’ ich Ihnen alles zu, weil die Briefe dieses
unersetzlichen
Herzens an Brüder, Eltern, Freunde sich nie widersprechen
und keinem
sagen, was nicht auch den andern Geliebten
erfreuen würde. Sie er
halten hiemit die
vollste Freiheit ihres Gebrauchs, ja sogar die der
öffentlichen Benützung meiner Antworten zum Erläutern. Ach, man
kann nicht genug thun, um der Welt von dem licht und warm zugleich
stralenden Geiste einen Wiederschein nach der so eiligen
Flucht zu
geben; aber auch bald muß man es thun, erstlich weil seine Erscheinung
in ihrem Wirken noch am frischesten im Publikum lebt und
zweitens weil
doch dieses sich an den Edeln, der einsam ohne
Komplotschreier sprach,
nicht genug erinnert und drittens
weil ja alle seine Liebenden den Trost
seiner irdischen
Palingenesie und den Genuß seiner gesammelten Er
gießungen wünschen müssen. In meiner nächst künftigen
„Selina“
(über die Unsterblichkeit) werd ich wol seinem Grabbilde
begegnen, aber
ich weiß nicht, ob meine Schmerzen mir
erlauben, es anzureden. O mein
Heinrich, mein Heinrich! Heidelberg kann ich nun nicht mehr sehen.
Es würden zwei Schwerter da durch
meine Seele gehen.
Aber im Frühling werd’ ich den Rhein und also Kreuznach besuchen,
um den Bruder zu haben, und so viele zu sehen, welche ihm
die Erden
schwere seiner vorletzten Tage
erleichtert haben. Grüßen Sie recht
innig Ihren Abraham,
gegen welchen ich mein Schweigen nur gut
machen, nicht entschuldigen kann.
Mit einiger Angst geb’ ich einen solchen Schatz wie die Briefe, der
nur einmal in der Welt ist, auf die Post und frankierte
deßwegen nur
halb. Welchen Postwerth könnte man auf das
Unschätzbare setzen? —
Mir senden Sie es, verehrte Freundin,
der Sicherheit halber durch
einen der Reisenden zurück,
welche gewöhnlich zu Ostern von Ihnen
herkommen. Ostern bleibe zugleich die
äußerste Gränze meiner
Entbehrung dieser geliebtesten
Denkmäler.
Außer Grüßen an die Familien Schwarz und Paulus wünscht’ ich
von Ihnen wol einige Nachrichten über diese meiner
Dankbarkeit so
theuern Menschen, mit welchen, so wie mit Heidelberg, ich blos durch
unsern Heinrich immer noch zusammengelebt.
Vater Voß sei herzlich gegrüßt, der sich seine Wunde an den
Musen
heilt; und die Mutter Voß noch
einmal, welche ihre an ihm und am
Gedanken der Ewigkeit
mildert.
Jean Paul Fr. Richter
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VIII_405.html)