Von Jean Paul an Emanuel Osmund. Frankfurt a. M., 11. Juni 1818.
Brieftext
Mein geliebter Emanuel! Ich habe bisher natürlicher Weise
immer an Sie und meine Frau zugleich geschrieben. Sie kennen also
das schöne Nachtfest auf dem Main. Aber beinahe hätt’ es
mit
Gräbern geschlossen. Das Schiff, das unserem mit
Flöten und
Frauen nachgekommen war, fuhr vor uns in großer
Weite voraus,
und unter der Sachsenhäuser Brücke lenkte der
vom Lichte des Noten
pultes geblendete Schiffer falsch — es
stieß an, Wasser war im
Schiff, die Lichter aus — und nur die
Kaltblütigkeit der Weiber,
die sitzen blieben,
rettete vor dem Umschwanken, wodurch so viele
herrliche
Mädchen und Jünglinge ohne Rettung ertrunken wären.Die
Männer sprangen auf einen Brückenabsatz und hielten so sich und
Schiff fest, bis Hülfe kam.
In ihrer Todes Gefahr sahen sie fürchterlich oben unser
singendes
und leuchtendes Schiff ziehen. Aber ich weiß
schon voraus, daß Gott
eine so große allgemeine Freude mit
einem solchen Schmerze verschont.
Gestern war auf dem Forsthause das erste große Essen des Ge
lehrtenvereines von mehr als 80
Menschen, wo ich mich nach der
Suppe und dem Rindfleische
mußte ansingen lassen von der Gesell
schaft, und von einem herrlichen Vorsänger sammt Fortepiano,
Pauken und Rest. Das Gedicht an sich, ohne Beziehung auf
seine
Wahrheit, ist sehr gut. Was noch vorging und welche
Gesundheiten
getrunken wurden — z. B. auf Preßfreiheit,
deutsche SpracheDer tief sinnige köstliche deutsche
Sprachgelehrte Radlof lebt hier als halber
Bettler. Gott gab es mir ein, daß ich bei der Gesundheit
„auf deutsche Sprache“
aufstand und Radlof nannte und sagte, wie er leben würde, wenn er auch
nur
wenig zu leben hätte. Heute schon wird durch
Gesandte und Gesellschaften für sein
Glück gebauet. Nun
kennt ihn die Stadt. Gesehen hab’ ich ihn noch nicht.
—
und meine Antworten und die vortrefflichen Gesundheiten und
Ant
worten Wangenheims, alles soll mündlich erzählt werden. —
Wangenheim grüßte Sie schon längst und erkennt Sie mit
seinen
hohen Jugendflammen, womit er dem
diplomatischen Corps manche
Haare versengt, auf die schönste richtigste Weise. —
Das Unglück bei allen diesen Überhäufungen mit Menschen und
Genüssen ist nur, daß ich gerne wieder in Ruhe und zu Hause sein
möchte unter den Meinigen. Ich fürchte mich jetzo ordentlich
vor
Heidelberg und dessen Abend-Trink-Runds.
Glauben Sie mir, man wird dieses sogenannte „Verehren“ doch
satt und will zu Bette gehen. — Das weibliche Frankfurt ist
nicht
kaufmännisch, sondern sehr gut. Ich gewinne alles; Jünglinge
und
Männer drängen sich an mein Herz, und die Weiblein
heb’ ich
Nesterweise aus.
Ich wollte nur, mein geliebter Emanuel, Ihnen schreiben, aber
nichts erschöpfen. Daher ist der Brief ein Briefchen. Wol geh’ es
meinem Geliebten, und seiner Geliebten und dem Kinde!
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VII_421.html)