Von Jean Paul an Heinrich Voß. Bayreuth, 23. September 1819.
Brieftext
Mein geliebter Heinrich! Der Überbringer dieses eiligen Briefes
ist der Kammerrath Miedel (ein
großer Mineralien- und Gemälde
kenner und Geldinhaber), in dessen
Garten ich seit vielen Jahren
meine Sommerkinder geboren habe und der Heidelberg
besuchen
will, eh’ er seinen Sohn da auslernen läßt. Kannst du ihm
einen
Rath oder einen Rathgeber für seine Fragen geben, so wirst
du es
gerne thun. — Ich habe wieder 3 Wochen außer halb
meiner Studier
stube verträumt und zwar
bei der liebenswerthen Herzogin von
Kurland und ihren 3 Töchtern. Könnt’ ich dir nur in
der Kürze die
Froh-Abende ohne Gleichen hier herklexen! Und das
zwanglose
Lust- und Tanz- und Sing- und Sprechleben! Nicht
ohne Beifall
spielt’ ich Blindekuh mit und verlas und machte
da einige kleine
Arbeiten. Doch erfreuete es mich am meisten,
daß ich, als ich mit
den Fürstinnen und andern —
sogar mit Frau von der Recke —
einige schwer-verwickelte Polonäsen tanzte, in mir den lang
ver
steckten Tänzer ertappte. Auch
Gelehrte — denn die Edelleute rechne
ich für nichts — waren
in Menge da, Feuerbach, Schink, Mar
heinecke, Tiedge etc.etc. und unter 4
Wochen geht selten einer fort, wie
denn jene alle
noch da hausen.
Es war hübsch; indeß konnte doch nicht einmal Löbichau das erste
Heidelberg erreichen und an einen Heinrich war
ohnehin nicht zu
denken.
Die Herzogin hatte mich durch H. v. Ende und einen
kurländi
schen Kreismarschall von Firks mit Extrapost holen lassen: sonst
wär’ ich doch zu Hause geblieben.
Wie will ich dir in der Eile genug antworten? — Vorgestern kam
ich erst zurück. Dein guter Bruder hat mir den Shakespeare ge
schickt, an welchem ich jetzt das erste
Stück genieße.Ich muß auf eine Gelegenheit sinnen, dir den
neuen Hesperus, der zu
Michaelis ganz erscheint, zukommen zu lassen.
Letztes ist
mir ordentlich ein 2tes
Original, so sprachgediegen, farbreich und
keck ist es
deinem Vater gelungen. Wenn er nur nicht zu oft wie ein
Ultra das Regierte dem Regierenden nachsetzte! — Das ganze
Buch
soll mir ein Nachsommer sein. Dein lieber Brief an meine
Frau
wurde mir nachgeschickt. Ich mußte ihn der Ende und der Piatoli
lesen lassen, welche beide in Achtung und Liebe für
dich wetteifern. —
Grüße mir wieder die so hart verletzten Paulus, an die ich
aus
Löbichau geschrieben.
Ich dachte seitdem oft an Sophiens frühere Ahnung, daß sie
zu
glücklich sei, um nicht einmal unglücklich zu werden. —
Grüße mir
alle meine Lieben in Heidelberg, die Tiedemann, die Sophie II
und Schwarz, Daub, Thibaut. Umarme
deine Eltern mit meiner
Seele und sei recht glücklich in der stillen
Nachsommerjahrzeit, die
gerade in dieser Nacht anfängt.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VII_579.html)