Von Jean Paul an Friedrich Haug. Bayreuth, 30. Dezember 1814.

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Brieftext

Baireuth d. 30. Dec. 1814

Mit Vergnügen benütze ich die Veranlaßung, den Aufsatz für
das Morgenblatt an Sie zu schicken. Leider verspätete nicht nur
seine Länge, sondern auch die Erfüllung einer andern Bitte Herrn
Cotta’s für den deutschen Beobachter, die Einsendung für die ersten
Tage der Morgen Blätter; wie wol eben der Länge wegen, nichts
an der ersten frühesten Stelle liegt. Theilen Sie nur die Kapitel
so ab, daß der Leser nicht auf meine Kosten abbricht. Die rothe
Dinte der Kapitelüberschriften geht nur das Auge des Setzers,
nicht die Farbe des Druckers an.


Streicht die Zensur irgend eine Stelle weg, ohne welche eine
ästhetische Lücke entsteht: so bitte ich mir das Mspt wieder aus,
um es mit der Zensor-Dinte, abgesondert drucken zu lassen, wie ich
bei Mars und Phöbus thun müßen. Und dann will ichs doch einmal
dem freiern — leider noch nicht freien — Deutschland sagen, wie man
in Stuttgart zensiert.

Sie sind schon Jahre lang der reichste Marzial der Deutschen,
welchem sogar die schärfsten Eisspitzen leicht durch einen warmen
Hauch zu elegischen Thautropfen werden, was bei dem römischen
nicht der Fall war. Diese Vereinigung von Seele und Geist
erquickt am längsten. Was neulich ein Jenaer Rezensent vom
Ermüden durch Fortlesen von Epigrammen feindselig hergeholt, gilt
eben so gut vom Fortlesen der Messiade. Kein Mensch verträgt
denselben Genuß in Einem fort, Tagelang, Wochenlang.

Mir fiel aber dabei ein, ob Sie nicht durch Real-Registrieren
Ihrer Epigrammen-Ausgänge blos aus diesen krystallisierten
Spitzen — wenigstens zum Scherze — recht blendende Erzählungen
bauen könnten. Die Gewalt des Witzes erfährt man erst, wenn er
im historischen Zusammenhange blitzt.

Etwas Ernstes Ihrem Taschenbuche zu geben versprech’ ich nicht;
leichter eine bloße Satire. Kleine Aufsätze kosten mir so viele Mühe
und Zeit, die meinen größern Werken entzogen werden.

Leben Sie froh, im Genuße Ihres Geistes und — wenn mög
lich — der Außenwelt.

Ihr
Jean Paul Fr. Richter

N. S. Verzeihen Sie der Eile die Gestalt des Briefs.


Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 6. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1952.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: ehem. Dr. Kurt Budy, Berlin. 4 S. 8°. K: Haug Stuttgart 30 Dez. i: Denkw. 3, 273×. B: IV. Abt., VI, Nr. 251. 414,7 Tage der Morgen] nachtr. H 28 recht blendende Erzählungen] aus eine recht blendende Erzählung H. Am Rande der 4. S. gestr.: N. S. Den Brief an H. Cotta bitt’ ich baldigst zu befödern. H

Haug hatte als Redakteur des Morgenblatts an Stelle des noch in Wien weilenden Cotta geantwortet und die Gelegenheit benutzt, Jean Paul seiner Verehrung und Liebe zu versichern und den Wunsch auszusprechen, daß er einmal nach Württemberg komme. Anscheinend (der Druck von B ist unvollständig) hatte er ihn auch zur Teilnahme an dem von ihm herausgegebenen „Almanach poetischer Spiele“ (1815—16) aufgefordert. Jenaer Rezensent: Neue Jenaische Allg. Literaturzeitung, Nov. 1814, Nr. 219, in einer Besprechung von Haugs „Almanach poetischer Spiele auf 1815“. (Doch spricht auch Jean Paul in der Vorschule § 53 von der Ermattung beim Lesen eines Bandes voll Sinngedichte, s. I. Abt., XI, 183.)

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VI_965.html)