Von Jean Paul an Auguste Schlichtegroll. Bayreuth, 6. September 1807.

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Brieftext

Bayreuth d. 6 Sept. 1807 .

Unvergeßliche Auguste! und vergeßliche! denn wie könnte sonst
ein halbjähriges Schweigen — zumal in dieser lauten Zeit — Sie
Meiner und meiner Versicherungen und unserer Stunden so ver
gessen machen, daß Sie mir Vorwürfe aus Gotha schicken, nachdem
ich einige Posttage vorher Grüße an Sie und Ihren Gemahl durch
Scherer nach München geschickt! Mich erfreuet aber innig dieses
Zusammen- und Zuvorkommen. Uebrigens hätt’ ich Sie jetzt
leichter in Paris gesucht als in Gotha. — Ob Sie die Münchner
Weiber-Welt entschädigt für die Gothaer, zweifl’ ich; leichter aber
die dasige Männer-Welt, der nun an der Spitze ein Jacobi für Sie
steht. Sie werden beide einander recht innig lieb gewinnen. Wenn
Sie mich ihm treffend — d. h. herrlich — geschildert haben: so
schildern Sie ihn wieder mir. Wahrlich! ich möchte wissen, welche
Weste er anhat.


Ich habe oft, liebe Freundin, unter dem in Zeit und Raume langen
Gewitter an Sie und Ihr Gotha gedacht; und innigst haben mich
die schönen Nachrichten eines bloßen kurzen Regen- oder Furcht
Schauers erquickt. Vielleicht hat dieses einzige mal der Witz
des Herzogs dem Lande nicht geschadet. Können Sie mir nichts von
diesem gekrönten witzigen Haupte melden? Wie ich mit ihm stehe,
weiß ich nicht, so wenig als er, wie er mit sich.

Nach München komm’ ich in jedem Falle einmal — es müßte
denn mein Reisen auf der Erde plötzlich unterwärts statt wagrecht
gehen —; und eben jene Hoffnung, Sie zu sehen, zu hören, zu halten
und alles wieder von vornen anzufangen, machte mein Schweigen und
meine Vorsätze und ein Paar andere Dinge ... und noch sitz’ ich
hier als Hoffnungs-Narr!


Meine drei Kinder gedeihen und wachsen wie meine Werke; und
diese beiden Arten von Werken werden täglich artiger und an
genehmer und verständiger.


So viel Himmel als nur hineingeht wohne in Ihrem Herzen!

Jean Paul Fr. Richter

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 5. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1961.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Germ. Museum, Nürnberg. 4 S. 8°. K: Auguste Schlichtegroll 6 Sept. ab 8ten. J: Denkw. 3,148. 162,15 vergeßliche] aus vergessende H 30 Kriegs Gewitter K 163,2 mein Reisen auf der Erde] aus meine Reise H 8 artiger] aus gefeilter H K 9 und verständiger] nachtr. H

162,15 Vgl. Bd. VII, 160, 25 : Unvergeßlicher Vergeßlicher! 19 an Sie: stimmt nicht, s. 159, 13f. 29–33 Herzog Emil August war ein Verehrer Napoleons, und Gotha wurde daher von den Franzosen schonend behandelt.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/V_395.html)