Von Jean Paul an Minna Spazier. Bayreuth, 27. Oktober 1807.
Brieftext
Hier kommt endlich der Aufsatz, dem erst Oertel die
Post-Flügel
gegeben. Es war mir und meiner C[aroline]
lieb, etwas Lebendiges
zu sehen, das bei Ihnen war — was so viel, wenn nicht mehr
werth
ist als ein Brief.
Meine Frau, die nichts herzlicher wünscht, als Sie hier zu halten,
wird Ihnen geschrieben haben, daß ich leider ein Briefchen
schreiben
werde wie folgt:
Nach vier Wochen verwünschen Sie wenigstens 2 Menschen,
wenn nicht 3. Bayreuth, das ich längst (ohne den Kriegs-Kordon
und das Bier) verlassen hätte, bietet Ihnen keine Musik,
Komödie,
ästhetische männliche oder weibliche Gesellschaft
an — körperlichen
Luxus der Städte noch weniger. Noch konnt’
ich Staels Corinna
nicht bekommen. Sie sind hier am Ufer des literarischen
Stroms,
nicht auf dem Strom oder Bach, das er jetzt
ist. Nicht einmal uns
beide könnten Sie geniessen — falls an
der zähern Ehehälfte etwas
Eßbares ist —, da wir in der
Vorstadt wohnen, wo keine Wohnung
für Sie zu finden ist; und obs in der Stadt eine Chambre garnie
gibt, weiß ich nicht, zweifle aber. Den
Gewin[n] der größern Wol
feilheit zehrt schon die Reise auf,
vollends im deutschen Teufels
Semester, das jetzt anfängt. Wenigstens müßten Sie das
schönere
erwarten, wo Ihnen Bayreuth zehnmal mehr geben kann als Sie an
Leipzig verlieren — nämlich an Gegenden.
Ich verschweige noch anderes was Sie zu entbehren oder zu erleiden
hätten. Ging’ es nach meiner Frau — die auch eine Frau ist
und
also alles um so mehr wünscht, je mehr Schwierigkeiten
da sind — so
wären Sie bei ihr, noch eh’ ich dieses Blättchen
zu Ende geschrieben.
Meine rechtschaffne und bedachte Meinung ist gesagt, sogar auf
meine Kosten, nämlich auf den Schein einer Undankbarkeit
hin
gegen Ihre vorjährige Willigkeit, uns aufzunehmen.
Was Sie nun thun und was erfolge, gehet von heute nicht mehr
meine Verantwortlichkeit an.
Ich habe nicht alles gesagt.
Es gehe Ihnen so wol als es Ihre Schwester wünscht! Mehr
kann
Ihnen Gott nicht geben.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/V_419.html)