Von Jean Paul an Caroline Herder. Hof, 17. August 1796.
Brieftext
Theuerste Freundin! Wie ein Sternbild stehen Sie mit dieser
Inschrift glänzend in meiner Seele. Ein Geschenk ist der
geistige
Wärmemesser des Empfängers. Giebt ihm jenes den
Druk der Ver
bindlichkeit, die Last der
Dankbarkeit: so liebt er wenig. Aber die
Gabe aus einer
geliebten Hand löset alle harte Pansterketten eher auf
und das
Herz vol Liebe schlägt ungefesselt freier. Blos in der hohen
Freundschaft wird es streitig, was süsser sei, empfangen oder
geben. —
Empfangen sag’ ich, wenn ich an Ihre holde Gabe
denke, wozu auch
Ihr geschriebenes, gleichsam aus einer Rose
gezognes Blat gehört.
Zum Glük hab’ ich, der ich alles von Ihrem Gemahl von
den
kritischen Wäldern und dem Torso an bis zur Gabe der Sprachen
(zu
seiner) gelesen habe — nur das über die Auferstehung
ausgenommen —
gerade diese 5 Bücher nicht gelesen. Ich gäbe etwas darum,
ich hätte
nie eine Zeile von ihm gesehen — sondern dieser nun
durchwanderte
Himmel, diese nun überlebte Jugend stünde mir
erst bevor. Aber so hat
man, wie der Mensch überal, grössere
Freuden in der Erinnerung als
in der Hofnung
stehen.
Die Gemahlin des russischen Gesandten in Dänemark (Krüdner)
die bei mir war und vor diesem Briefe bei Ihnen ankommen
wird,
giebt meiner wärmsten Achtung für Ihr Geschlecht, die
im Juny wie
andere Blumen so sehr
wuchs, gleichsam neue schirmende Blumen
stäbe. Die Engel in Ihrem Geschlecht sind nicht gefallen,
sondern
bedekt wie Portici und die Schnitte der Kultur, die
oft dem Manne
den Birkensaft abnehmen, geben blos der vollen
weiblichen Nelken
knospe eine rhythmische
Entfaltung. Jene Frau verdient Ihre Um
armung. — Leben Sie wohl und das Schiksal streue Ihnen so viel
Freudenblumen herab als Sie unter andere auswerfen, z. B.
an
Jean Paul (wenn Sie an ihn schreiben bald).
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_380.html)