Von Jean Paul an Amöne Otto. Hof, 15. März 1795.
Brieftext
Ihre schönen Briefe — besonders der nicht an mich gehörige —
zwingen mich ordentlich, heute mein Arbeits-Gewühl mit einem Ver
gnügen zu unterbrechen, ich meine mit einem
Brief an Sie. Warum
sol ich nicht, was ich kan beitragen, die
Tazen die der Zufal in Ihre
Seele schlägt, aus der Wunde
zu ziehen, weniger um Ihre trüben
als Ihre hassenden Stunden
wegzunehmen? — Einer Person, die
(wenige Züge abgerechnet)
einen so wolwollenden, gelinden, er
weichenden Brief vol stiller und vergebender Schmerzen schreibt wie
Sie, darf man ja wol rathen, wieder einen zu machen, weil
sonst das
Gewitter immer über Einem Orte bleibt, und zwar einen
nach
folgendem Plane:
Denken Sie sich in die fremde Person — jeder hasset durchaus nur
moralische Häslichkeit, eingebildete oder wahre — Folglich müssen
Sie nicht Ihre Meinung von sich beim
Andern voraussezen (und
daraus gegen seine Billigkeit folgern)
sondern seine. Folglich müssen
Sie diese angreifen. Ich würde so sagen (verzeihen Sie ja mein
vielleicht ungelenkes Wolmeinen, um so mehr da ich jezt keine
Zeit
habe, ihm die sanftere Wendung zu geben):
„Da Sie mich sonst liebten: so hab’ ich die Ursachen zu errathen
gesucht, die Sie, da Sie nicht gegen Ihre GrundsäzeFreilich handelt ** in unserem Auge gegen seine
Grundsäze, aber nichtin seinem. Ach der
ewig betrogne Mensch sagt ewig: „ich bleibe mir und meiner„Tugend getreu; freilich fehl’ ich zuweilen, aber das ist nur Uebereilung,
Tempera„ment.“ So sind wir alle.
handeln, in
Ihrer Meinung änderten. Wenn Sie das und das etc.
denken — wenn
Sie von meinem Betragen diese Auslegung machen — („„Sie
„„müssen jezt mit
Anstrengung sich in die Verdrehungen hinein
„„denken, womit man Ihr Schweigen, Dulden,
Handeln zu einem
„„schlimmen verkehrt““) — wenn Sie also so
denken: so müssen
Sie mich so behandeln. Aber nicht Ihr Auge, sondern das Licht
ist
falsch, worin Sie mich sehen.“ Jezt, Freundin, sagen Sie
alles, womit
das gekränkte schuldlose Herz über den Argwohn
siegt.
Beleidigen Sie nur die Eitelkeit nicht. Wählen Sie die
weichsten
Worte. Man mus sanft
sprechen, obwol fest (und oft hart)
handeln: unter meinen Handlungen erlaubt mir das Gewissen
keine
Wahl, aber unter meinen Worten; und glauben Sie mir,
man macht
sich zehnmal weniger Feinde durch strenges Thun als
durch strenges
Reden.
Sonderbar! An sich liebt man Heftigkeit, an andern Ergebung —
im Roman achten Sie nicht die stürmende, kräftige sich entgegen
stemmende Heldin am meisten, sondern die,
die mit allen Kräften zur
Gegenwehr gerüstet doch mit einem
feuchten Auge alle Waffen
hinlegt und sagt: „mishandelt
mich nur, ich wil es dulden.“ Nur dan
ist Nachgeben und Dulden
verächtlich, wenn es aus Kraftlosigkeit und
Muthlosigkeit
entsteht; aber wenn man in sich das Vermögen bren
nend fühlt „ich habe Troz und Mark zum Kampf, ich könte
alles
wagen“ und wenn man dennoch, götlich-zufrieden mit dem
Gefühl des
Muths, nicht sowol vor dem Gegner die Waffen strekt
als vor der
Sanftmuth, dan hat man etwas höhers als Muth:
Ergebenheit in die
Vorsehung. Man siegt über einen grössern Gegner als den
äussern —
über den innern. —
Erreichen Sie keine äussere Absicht: so erringen Sie doch alles: den
innern Gehalt. Sie lesen ja die Bücher nicht, um sie zu dozieren
und
davon zu leben. Eben so üben Sie ja die Geduld nicht, um
damit
Menschen zu gewinnen, sondern weil sie götlich ist.
Sie können in diesem Blatte ein treumeinendes Herz nicht ver
kennen. Ich habe Ihnen freilich — und das auf eine
unpolierte
Weise — nichts gesagt als was Sie schon wusten;
aber die Wahrheit
wird wie der Schal schöner durch das Echo,
ich meine kräftiger.
Der Himmel lasse die Dornenkrone in einen Blumenkranz aus
blühen und schliesse die bangen Prüfungen nicht nur mit
Freude,
sondern auch mit fremder Besserung.
Richter
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/II_74.html)