Von Jean Paul an Carl August Matzdorff. Schwarzenbach a. d. Saale, 16. Juli 1793.

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Brieftext

[ Schwarzenbach, 16. Juli 1793 ]

Schon auf meiner Reise, die zu freudig war als daß sie sich nicht
an einem Grabe hätte endigen sollen etc. — Ich, der ich in wenigen
Jahren 3 Freunde verlor, bin jezt so sehr an den bittersten Kummer
gewöhnt, daß ich jeden, den ich liebe, nur für einen aufgerichteten
Todten halte — Menschen in Todtenkleidern stehen neben uns — der
Tod mäht alle Blumen, die neben uns spielen, aus der Wüste weg
und ein Mensch, der alt wird, findet sein Grab von lauter fremden
Gräbern umlagert, in denen seine schöneren Tage und seine Geliebten
schlafen. O du gute schöne Seele, deren Hülle, deren Stimme ich vor
einem Jahr an meinem Herzen zu finden hofte — jezt rint die Hülle
auseinander und die Stimme der Liebe zerdrükt der lezte Schmerz —
ich sehe dich hier nicht mehr und wenn ich dich einmal wiederfinde,
kenn’ ich dich noch nicht. Du Unvergeslicher, wie war dir nach dem
lezten Augenblik der erste, den das Leben von Kindheit an mit einer
dichten Wolke überzog — Aber die Wolke hatte lichte Oefnungen,
durch die du die Auen des 2ten Lebens grünen sahest — dein Auge verlor
sich in die Auen und sah dieses öde Leben nicht mehr — plözlich rükt
dich dein Genius, der Tod, in die Auen und wir beraubte finden von
dem besten Menschen keine Spur als sein Grab. — Ich sol Sie trösten?
Ich tröste mich nie, ich sage zu mir: thut denn dir dieser Kummer, diese
Thränen schon zu wehe? Was hast du denn noch diesen Geliebten zu
geben als diese Paar Thränen, die sie nicht sehen, diese Paar Seufzer,
die sie nicht hören? Nein ach [?] das Bild des Freundes zerstiebt ohne
hin wie das begrabne sobald im veränd[erlichen] Herzen des Menschen
— nach 10 Jahren sind die Gräber eingesunken und die Gestalten
zerfallen und die geliebten Seelen verdrängt aus deiner — Sondern
recht wil ich beklagen, bis zum Schmerz wil ich betrauern den Guten,
der stum und blas zu meinen Füssen liegt … Vom künftigen Wieder
erkennen etc. Ohne Fortdauer meines Gedächtnisses ist die Fortdauer
meines Ichs soviel wie die eines fremden Ichs d. h. keine: sobald ich
nichts mehr von meinem jezigen Ich weis, so könte ja jedes fremde
meines sein. Aus der Abhängigkeit des Gedächtnisses vom Körper —
die dasselbe aber mit allen Seelenkräften gemein hat — folgt dessen
Untergehen mit dem Körper eben so wenig als aus der Abhängigkeit
der übrigen Kräfte ihr Untergehen mit dem Körper folgt. Denn wenn
beides folgte: was bliebe denn zur Unsterblichkeit übrig? — Ich werde
die Liebe nicht vergessen, womit Sie sich in Ihrem trübsten Schmerz an
einen soviel Meilen entfernten Menschen wenden, und die Freund
schaft, womit Sie mir die ersten Thränen über den Dahingegangnen
zeigten, sichert Ihnen die meinige auf immer.

Textgrundlage

Jean Pauls Sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 1. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1956.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

K (nach Nr. 429): An Mazdorf 16 Jul. 1793. i: Nachlaß 4,242.

Matzdorff hatte den am 26. Juni 1793 erfolgten Tod von Moritz gemeldet. 394, 34 drei Freunde: Hermann und die Brüder Oerthel.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_437.html)