Von Jean Paul an Erhard Friedrich Vogel. Leipzig, 12. März 1784.
Brieftext
Hocherwürdiger und hochgelerter Herr,
Hochzuvererender Herr Pfarrer!
Von den Todten wiederauferstandner Freund!
Was für ungerechte Anlässe lieh ich nicht zeither Ihrem langen
Stilschweigen vor und nach meinem lezten Briefe! Bald lies ich
es aus Ihrem Unwillen über die Hartnäkkigkeit entstehen, mit der ich der
brittischen Kleidung meines Körpers, so wie meiner Gedanken
an
zuhängen fortfur; bald aus Äusserungen in
meinen Briefen, die Sie
durch eine misgedeutete Gestalt
beleidigt hätten; bald endlich gar aus
der Unänlichkeit des
zweiten Teils mit dem ersten, durch die ich Ihren
Beifal verscherzet könte haben. Und unter allen den
Veranlassungen,
die ich mir ersonnen, vergas ich doch auf die
ware zu fallen. Ich dachte
gar nicht daran, daß Sie mich auch
wol nur blos könten vergessen
haben. Diese angeneme Belerung verdank’ ich Ihrem so schönen
Briefe,
der sie mit der zweiten aber ungleich angenemern
begleitet, daß Sie sich
meiner wieder erinnert haben. Gewis! Sie mögen in Zukunft Ihr
Stilschweigen noch so ser verlängern, es bringt mich nicht mer
dahin,
an Ihrer Freundschaft zu verzweifeln; nur Ihr
Gedächtnis werd’ ich
anklagen und höchstens Ihre bekante
Abneigung vor dem Brief
schreiben. Der
Kardinal Quirini gewan durch sein unablässiges Brief
schreiben den Namen Cardinalis epistolaris; er sol aber ser mittel
mässige Briefe geschrieben haben. Ich
wünschte, daß Sie, eben weil Sie
demselben in dem leztern
Stükke so unänlich sind, ihm in dem erstern
änlich zu werden
trachten möchten. So lange Sie also Ihre Besserung
d. h. die
Erfüllung dieses Wunsches noch aufschieben werden: so lange
mus ich Ihnen den Namen eines Polygraphen, mit dem Sie sich
am Ende Ihres Briefs zu
früh geschmeichelt, geradezu abschlagen und
kan, fals ich
nicht auf Kosten der Warheit loben sol, Ihnen weiter
nichts
als den Namen eines Kalligraphen zugestehen. —
Doch Sie schreiben ia stat der Briefe Bücher! Und in der Tat, dieser
Ersaz wäre vortreflich und Sie folgten meinem Beispiele mit
einer
Wirkung, welche derienigen gerade entgegengesezt wäre,
mit der ich es
gäbe. Nur vergeben Sie mir einen kleinen
ZweifelGeben Sie ihn Ihrer Verzögerung schuld, Ihre
exegetische Arbeit zu Stande zu bringen. an der
Geburt
Ihres Kindes so lange als ich von ihm nur den Namen
kenne. Bei den
Katholiken wird oft (vermittelst einer Sprüze) das Kind früher
getauft als geboren und gelangt
früher zur Wiedergeburt als zur
Geburt. Vielleicht daß auch
Sie Ihr Buch früher betittelt als gemacht
wenigstens
niedergeschrieben hätten. Der ungläubige Thomas wil also
die Verkörperung eines Geistes, der ihm nur in Ihrem zu leben
dünkt,
blos der Betastung mit seinen eignen Händen und der
Betrachtung mit
seinen eignen Augen glauben. Und er wünschte
recht ser, Sie der
gestalt in Harnisch zu
bringen, daß Sie ihn für seinen Skeptizismus
durch die Nachamung Christi sobald als möglich zu beschämen und
zu
bestrafen eilten. — Die Gegenstände, worüber Sie raffiniren
wollen,
werden iedem gefallen: denn es ist zu schwer,
darüber etwas neues zu
sagen, als daß es nicht doppelt
überraschend sein solte, darüber doch
etwas neues zu lesen. —
Für einen Verleger sorgen Sie iezt nur nicht.
Da indessen diese
Leute eben so ungläubige Thomasse im Werte Ihres
Buches sein werden als ich es im Dasein desselben bin: so
werden Sie
vielleicht meine Überzeugung von dem leztern
doch wenigstens darum
beschleunigen, um von dem ersten iene zu
überfüren, die mein Urteil
über Ihr Werk übertrieben zu finden
nur dan aufhören können, wenn
sie es übertroffen gefunden. —
Blos die Geschwindigkeit, mit der ich
Ihnen diesen Brief
schikken wolte, ist schuld, daß ihn das Buch noch
nicht begleitet, das Sie verlangen und um das ich mir
keine mislungne
Mühe zu geben hoffe. Noch gewisser geb’ ich
mir keine uneigennüzige;
da ich dadurch die Geburt Ihres
Buchs, das ia ich auch zu lesen
bekomme, beschleunige. —
Ein Par Worte von meinem! Ihrem Tadel desselben felet zur
völligen Richtigkeit nur grössere Strenge oder doch
Deutlichkeit. Er
trift erstlich die Wal und dan die Behandlung der Materien; wiewol
Sie den Tadel der leztern in den Tadel der erstern ganz
verlarven und
verschleiern. Allerdings hätte ich — nicht zwar
gar keine schrift
stellerischen Torheiten;
aber doch — nur solche zu geiseln wälen sollen,
die
weniger algemein sind und die mer interessiren. Denn warum ich es
überhaupt tat, sagt die Vorrede deutlich: ich gebe mich solange
mit den
Büchern ab, als ich die Menschen noch nicht genug
kenne, sie belachen zu
dürfen und zu können. Dazu kommen ia in
„der Bitschrift um Torheiten“
nur blos wieder solche Gegenstände vor, die den Kunstrichter
nicht
allein interessiren können. Da Sie aber doch
diese Satire nicht von
Ihrem Tadel ausnemen: so schliesse ich,
daß er ausser der Wal der
Materie auch die Bearbeitung
derselben verstekt angreife. Und Sie
haben Recht, wenn Sie von
den drei ersten Satiren etwan behaupten,
daß darinnen des
gezwungnen Wizes zuviel, die Änlichkeiten zu ent
fernt, der Ausdruk zu dunkel sei. Ich bin dieser wizigen
Wollüste selber
sat: nur zu ser entstellen sie sogar auch
meine vorigen Briefe an Sie.
O wie lange mus man sich doch
vom falschen Geschmakke irre füren
lassen, wenn man keinem
Freund begegnet, der uns zum waren
Geschmak zurükbegleitet! Ja,
wolte es auch einer; würde man ihm
folgen? Gewönlich folgt man
nur seinen eignen Erfarungen. Leider!
ist aber zwar die
Erfarung eine gute Schule; allein sie fodert nur so
entsezlich viel Schulgeld! — Ich war oben im Begrif zu sagen, daß die
Bitschrift um Torheiten von diesen schimmernden Mondsflekken
gröstenteils gesäubert sei und daß ich daher der Hofnung lebe,
Sie
haben in Ihrer kritischen Konduitenliste auf sie keine
Rüksicht ge
nommen. Fürchteten Sie aber
dennoch, daß sie denen, die Ihnen nicht
änlichen, zu
schwer zu lesen käme: so würden Sie mich fürchten machen,
daß
meine künftigen Satiren, die in eben diesem, ia in noch einem ver
stekter ironischen
Tone geschrieben sind, noch schwerer scheinen
würden. Über
diese Bitschrift erwart’ ich also noch Ihre deutlichere
Kritik. Zu Ostern komt kein dritter Teil heraus; aber wenigstens
vor Michaelis ein ganz neuer und ser dikker Band
andrer Satiren,
unter einem neuen Titel. —
Wie bald würden wir überflüssigen Stof zu Briefen bekommen, wenn
ich Ihre Raffinerien früher und noch in seinen
[!] Windeln kennen
lernte. Wie wolten wir dan nicht disputiren!
Was ich Ihnen noch schreiben könte, beträfe den montgolfischen
Klimax, der in Leipzig immer zum
Antiklimax ausartet. Aber Sie
werden es schon aus den Zeitungen wissen, daß den
Leipziger Luft
kugeln die Leichtigkeit und das Brenbare ser fele, wiewol ich darum
keinesweges diese
beiden Gaben den Köpfen der Leipziger Belletristen
wil abgesprochen haben. Überdies mus ich mich dem Willen der
h.
Inquisizion in Lissabon fügen, die die Verfertigung der
Luftbälle
und sogar das Reden darüber untersagt
sol haben.
Es ist glaub’ ich schon ein Jar, daß ich Sie um eine schriftliche
Samlung von den Torheiten zu bitten versuchen wolte, die Sie
etwan
an Ihren Amtsbrüdern, an Pfarrern und
Schriftstellern, zu Gesichte
bekämen. Ich würde damals diese
Bitte an Sie erstlich mit meiner
Entfernung von theologischen
Dingen und zweitens mit dem Rechte
der Satiriker, die
Schwarzrökke zu ihrem Schwarzwildpret zu machen,
vielleicht
haben rechtfertigen wollen. Und ich würde auch noch iezt
diese Bitte um Mitteilung theologischer Torheiten wirklich wagen:
besorgte ich nur nicht, daß Ihnen ihre Erfüllung durch die
Seltenheit,
mit der die Narrenschellen nur hie und da auf
theologische Perükken
verstreuet sind, gar zu ser erschweret
würde. Indessen könten Sie
durch eine für mich veranstaltete
Samlung derselben, wüchse sie auch
noch so langsam an, doch den
grösten Gefallen tun
Richter
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/I_68.html)