Von Jean Paul an Heinrich Voß. Bayreuth, 22. Februar 1820.
Brieftext
Mein Heinrich! Der wirst du mir doch bleiben, trotz meiner
langen
stummen Sünde. Nicht Arbeiten — denn dieß
geht im Winter matt bei
mir — sondern umgekehrt mehr der
Mangel an Feuer, wie an Zeit und
langen Tagen sind schuld;
auch das Schreiben an Max und das viele
an meine Frau. Diese kam den 31ten
Jenn. zurück, nachdem sie alles wie
ein Mann abgemacht. Nur wagt sie leider wie ein Mann. Hinter
Witten
berg, wo alle Posten still lagen
wegen der aus[ge]tretnen Elbe, fuhr
sie
2 Stunden lang auf der vom weiten Meere bedeckten Chaussee
durch
das den Pferden an den Bauch reichende Wasser; ein
Fehltritt aus dem
unsichtbaren Wege in den Graben begrub sie und sie glaubte
sich
schon der letzten Stunde geweiht. Der ganze Tag ihrer
Ankunft mischte
in mir Thränen entgegengesetzter Art
zusammen, aber verklärte meinen
Glauben und Dank an die
Vorsehung. — Das Podagra Auch über dieses werd’ ich ohne
Arzt durch meine Mittel Herr; so wie ich indiesem Winter gegen die
immer mit dem Wetterglase steigende Diarrhöe (sogar imSommer) ein
allmächtiges Einreibmittel herausgebracht.
oder viel
mehr nur sein
Antrittprogramm gab mir nun in diesem Winter, dessen
Strenge
(20½ Grad unter Null) meine Brust weniger empfunden als
sonst
den Herbsttag, sein Wort darauf, daß ich für mein Leben wenigstens
von harten Wintern nichts zu befürchten hätte und daß es
deßhalb jedes
mal vor einem strengen
pünktlich eintreffen wolle, um mich zu verthei
digen. Habe aber Dank, du ächter Freund, für deine Sorge der
Liebe.
Freilich für das Schreiben — nicht für das Freuen —
hab’ ich genug
gelebt; auch hälfe mir ein Jahrhundert darüber
doch nichts zum Fertig
werden, so häufen
sich Mittel und Stoff. — Zu Michaelis kommen viel
leicht 2 Bändchen meines komischen Romans bei Reimer (gegen dessen
Zahlfähigkeit man mich aber mistrauisch gemacht — sub rosa!) und
zwar weil ich will
wieder aus Engelmanns Werkstatt heraus. Alter,
thue mir daher den Gefallen und schicke mir aus seiner
Druckerei 4 oder
mehr Probedruck blättchen, nicht Halbbogen. Den Siebenkäsischen
Druck hass’ ich. Thue du es aber, statt seiner, des
Zauderers, und
frankiere — ich bitte dich — den Brief
nicht, oder gib ihn der fahrenden
Post. Himmel! wie bedauere
ich deine kritische 40 seitige Verschwendung
ans Jungische Fehlwerk — dem doch nicht zu helfen ist und,
glücklicher
Weise, auch nicht zur Druck-Geburt —! Wie viel bessere
Zinsen hätte
sie abgeworfen, bei meinem Buche angebracht! —
Denn dieses halte ja
nicht für den großen komischen Roman, den ich geben
wollte, und jetzo
nicht recht kann. Es ist aber zu viel davon
zu reden. — Hast du meine
Aufsätze im Cottaischen
Damenkalender gelesen? — Der Sophronizon
konnte in keine günstigere Zeit als in das jetzige
Kerker-Provisorium
fallen, wo jeder zu einem Freiworte
über Adel und Pabst jauchzet und
tanzt. Stollbergs Tod hätte doch am Ende deinen edeln Vater
nicht
mehr bekümmern dürfen als Jakobi’n Mendelsohn’s Tod; sonst
müßte
man am Ende, bevor man gegen einen schriebe, bei dessen
Arzte ein
Gesundheitzeugnis einholen. Aber auch das
Versterben an einer Wider
legung wäre
eigentlich sogar ein Fehler-Stoff mehr für eine, — wenn
man strenge richten wollte, was man aber nur vermag, wenn man andere
vertheidigt 〈tröstet〉, aber nicht, wenn sich. — Mein Max (der im
Sommer sogar den philologischen Wettkampf der zu prüfenden
akade
mischen Rückkömmlinge mitmachen will) schreibt mir von einer
künftigen Zusammenkunft Creuzers, Daubs mit Thiersch und Kopp,
in Stuttgart. — Schröders
Leben kenn’ ich noch nicht; einmal sah ich
ihn selber bei Herder; er kam mir
so unpoetisch vor wie seine Lustspiele.
— Ist jener mystische rezensierende Clodius nicht der einzige Sohn des
alten Dichters Clodius? Dann kenn’
ich ihn persönlich, begreife aber
seinen jetzigen Schein von Tiefe nicht. — Das zugemuthete
unschickliche
Du der Schwendler
schlage kühn aus, wenigstens höflich durch Sie-Fort
schreiben. Sie kann wol, wenn sie will,
meine Freundin sich nennen, aber
nicht mich ihren
Freund. — Guter, mein Bischen briefliches Urtheil
über die
Sprache in euerem Shakspeare steht dir, wo und wie du nur
willst, zum Bekanntmachen zu Gebote. Noch immer schieb’ ich
das
Bemerken über den letzten Band und das Schreiben an
deinen lieben
lieben Abraham auf; denn geh’ ich heute oder
morgen daran: so bleibt
dieses Blatt noch wochenlange liegen. — — In der
Karwoche reis’ ich
vielleicht nach München; im Sommer noch
mehr vielleicht gegen
Sachsen hin, also nach Weimar. Ach
wenn ich nur dich, mein theuerer
Bruder, bald wieder sähe! — Grüße mir nun die geliebtern
Heidel
berger warm, zuerst Vater und Mutter, —
dann zwei Sophien (an die
Sophie D[apping]
hätt’ ich für ihren liebevollen Brief beinahe ge
schrieben) — und Luise — und die Tiedemann sammt Mann — und
Paulus, Vater und Mutter — und Daub — und Creuzer, den
künftigen
Wolthäter meines Max — und die S[ch]warzens — und
am wärmsten
dich selber.
treuester
Richter
Schreibe mir ein Wort über den Magnetismus in Heidelberg.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VIII_20.html)