Von Jean Paul an Max Richter. Bayreuth, 9. Januar 1820.
Brieftext
Mein guter Max! Ich schreibe dir blos, um dir bei dieser Kälte jede
Angst über ihren Einfluß auf meine Lungen- und Herznerven zu
be
nehmen. Zum Glücke ist der
Fuß mit seinem podagristischen Noviziat —
wobei ich ausgehen
kann — der Arzt der Brust und der Ableiter des
Winters. — Deine
Arbeitsamkeit würde mir noch größere Freude
geben, wenn sie
nicht über die Schranken des — Körpers schritte. Was
hilft es
dir, jetzo übermäßig zu laufen, wenn du nachher eben so
lange ruhen mußt? Der herrliche Kapp brachte aus Berlin
einen Himmelwagen voll philologischer und philosophischer
Aus
beuten und ein bleiches
Körpergerippe voll lauter Krankheiten mit,
das jetzo seinen
Geist und seine Jugend lähmt. Um Gottes Willen,
übertreibe
nicht! Bewege dich wenigstens jede Woche einmal recht
stark, nur nicht auf Schlittschuhen, welche in diesem Froste mit neuen
Übeln drohen. —
Im 25ten Jahre wird nicht darnach gefragt, ob du einen
Theil
deiner Kenntnisse schon im 16ten, oder erst im 20ten gewonnen; und nur
anfangs glänzt man mit einer, am Ende immer schädlichen,
Früh
zeitigkeit. —
Durchaus mußt du nach Heidelberg; lieber später darauf nach
dem
philologisch- und allseitig-reichen Berlin als nach Leipzig; die Gründe
künftig. —
Es hat mir in deinen Briefen wehe gethan, daß sie nach meinen
NB
Predigten in der Kalligraphie weiter nichts geworden als noch
schlechter. An einen Vater muß ein Sohn allzeit Zeit haben, schön zu
schreiben; das
Opfer oder die Gabe höchstens einer halben Stunde mehr
darf er
fodern. Z. B. das Wort Vater selber schreibst du Vater. Wähle
dir doch nur für jeden Tag einen
besondern Krüpelbuchstaben, z. B.
eben das t, welchen
du dir unaufhörlich vormalst im Kopfe, um ihn
nicht auf dem
Papiere zu malen. Nach 14 Tagen fange wieder von
vornen an. —
Du wirst hier von München aus sehr gelobt. — Die
Mutter lebt gesund in Berlin
überhäuft mit Arbeiten, Freuden und
Freundinnen; und kann trotz ihrer Sehnsucht erst nach 18
Tagen
kommen. Sie schreibt: „du sollst dich nur
gedulden, sie bringe dir viel
mit.“ — Den Esprit de loix von Montesquieu hast du gewiß nicht
ganz auf der Bibliothek gelesen, er hälfe dir auch weniger
als seine
Abhandlung über den Verfall (decadence) des römischen Reichs welche
lies. — Die Schwestern grüßen innig. — Folge deinem Vater,
dessen
Worte eben so voll Wahrheit als Liebe sind. — Meine
Schlichtegroll’s
grüß ich herzlich
[Schluß abgeschnitten]
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VIII_4.html)