Von Jean Paul an Caroline Richter. Bayreuth, 22. Dezember 1819 bis 23. Dezember 1819.

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Brieftext


Baireut d. 22ten Dec. 1819 [Mittwoch]

Meine geliebte Karoline! Während Emma mir gegenüber spielt:
bericht ich dir, daß deine am Sonnabend abgegangne Kiste so wie
der Brief des Dienstags beide am Sonnabend d. 18ten angekommen.
Die Kinder haben so wenig errathen und ich habe so künstlich durch
einander gelogen, daß sie bis diese Minute nicht gewiß wissen, ob
ich von Heidelberg (z. B. das Stückchen gegebenes Marzipan)
oder von Stuttgart oder von der Donauer (der ja schreibe und
danke) etwas erhalten, z. B. den schlechten Magd-Cattun. Von
letztem zeigt’ ich ihnen ein Stückchen, um die Magd ausforschen
zu lassen; diese und die Kinder erklärten ihn für einen erbärmlich
veralteten mode-feindseligen, den man folglich noch weniger der
Pathe Caroline ohne Verbrechen der beleidigten weiblichen Majestät
anbieten dürfe; doch wollen die Kinder gern ihn als Schürze todt
zutragen sich bequemen. — Dafür ist deine Auswahl für beide desto
reicher und überraschender und ich freue mich auf den Freitag. Aus
ihren hier beigelegten so mäßigen Wünschen kannst du die künftige
Entzückung über das Übertreffen derselben dir weissagen. Auch mir
hast du eine wahre kindische Freude mit dem Fernglase gemacht;
und ich freue mich auf dessen öffentlichen Gebrauch vor ihnen und
andern. Längst sucht ich in Frankfurt und Stuttgart ein ähnliches
— so schön erräthst du meine Wünsche. —


Ich bin sehr einsam, aber jetzo sehr froh, da nun auch mein
Neujahraufsatz und die dritte Herbstblumine auf der Post sind und
ich die Freiheit neuer Arbeiten wie ein weites Morgenland vor mir
habe. Der Winter führte seinen kleinen Krieg, nicht den großen
mit mir. Aus dem Darmkanal schlug ich ihn heraus durch eine gute
Einreibung. Dann faßte er Fuß im linken Fuß mit Gicht; auch
hier zog er sich vor meinem Wollstrumpf und Wachstaffent bis
auf einige Schmerzen zurück. Der Symmetrie wegen brachte er
noch am rechten Schenkel eine große Blutbeule an. Und so mußt’
ich denn über 10 Tage zu Hause bleiben — morgen geh’ ich aus —,
ohne Gesellschaft, sogar ohne die ungesellige Harmonie und häufig
ohne die Kinder, welchen ich gern das allgemeine Bewerben um sie
nicht störte. Mein herrlicher Emanuel war einmal bei mir. —
Otto sah ich einmal, an seinem Geburttage, bei Östreicher, aber
bei Fremden werden wir uns vollends noch — fremder. — Kleider
hab’ ich vielleicht über mein Leben hinaus; aber was ich mir vom
geliebten Vater wünsche, ist ein Schlafrock, worin ich dann auch
dir angenehmer erscheinen könnte, wenn ich den geistigen Werth
nicht durch tägliches Tragen abnützte. —


d. 23ten

Fürchte nicht meinetwegen die gewisse Strenge des Jenners.
Denn Unterleib und Füße sind eben im Voraus Ableiter des Ober
leibs geworden. Werde nur du im Froste nicht krank — oder viel
mehr nicht sorglos; denn dir stehen ja die besten Aerzte nahe genug.
— An den guten alten Bedienten hab’ ich oft gedacht; gewiß hatt’
er größere Hoffnungen gehegt als das Schicksal ihm erfüllte — seid
ihm doch das günstigere Schicksal! — Der geliebten Henriette,
welche meine Verehrung grüßt, war doch mein Blättchen an sie
recht? — Ich dank’ ihr schon heute für die morgendliche Freude der
Kinder über ihre Gaben. — Suche doch die Bekanntschaft des D.
Wolfarts und bring’ ihm meinen Dank der Hochachtung und lerne
den Magnetismus besser kennen. — Über den Buchhändler Raumer
[!] frage mehre Zeugen; Cotta und sein bisheriges Bezahlen
sprachen für seine merkantilische Tüchtigkeit. — Lasse auch Ahlefeld
zu dir kommen. — Schreibe an Max ein Blättchen, der fast zu spar
sam und zu fleißig ist. — Willst du mir nicht einige ächt englische
Bleistifte mitbringen und ein englisches Federmesser, aber mit
einer geraden Klinge und einen Bund hamburger Seekiele, aber
vom linken Flügel? — Alle meine Material[i]enbitten will ich
schon vor deiner Abreise wiederholen. — Eben ging Emanuel mit
seiner Frau von uns. — Gott belohne dich, schönes edles Herz, mit
schönen Tagen und gebe dir noch mehr als mir fehlt.


Dein
Richter

Den Brief an die Ompteda siegle du. —

Im Briefe an Betty frage, ob sie viel Gepäck hat; du wirst jetzt
vieles haben und kannst dich ohnehin nicht mehr auf Rück- und
Gelegenheitfuhren beschränken.

Heute den 24ten gehen die Blätter fort. Den 14ten hatt’ ich dir
auch geschrieben. Noch einmal lebe wol und gedenke meiner mit
alter Liebe mitten unter den Liebenden um dich her.


Der Stollen ist Emma nach aller Urtheil sehr gut gelungen.

Textgrundlage

Jean Pauls sämtliche Werke, Historisch-kritische Ausgabe. Dritte Abteilung, Band 7. Hrsg. v. Eduard Berend. Berlin: Akademieverlag, 1954.

Kommentar (der gedruckten Ausgabe)

H: Berlin JP. 5¼ S. 8°. Von Karoline überschrieben: 2ter Brief. Von ihrer Hand steht oben auf dem letzten Blatt gestr.: Emma, Emanuele, Amalie, Idoine Richter/Minna, Amöne, Odilie Richter. (Die Taufnamen der Töchter.) J 1: Wahrheit 8, 230×. J 2: Nerrlich Nr. 183×. B: IV. Abt., VII, Nr. 237. A: IV. Abt., VII, Nr. 244. 324,28 das] aus ein gegebenes] nachtr. 34 der beleidigten] aus an der 325,35 günstigere] aus bessere

Angekommen wahrscheinlich schon 27. Dez., mit einem Brief Emmas v. 24. Dez., s. Das Leben Emma Försters in Briefen (1889), S. 6f. Karoline hatte eine Kiste mit Weihnachtsgeschenken — für J. P. ein Teleskop („Augengläser sind ja eine deiner Liebhabereien“) — unter der Adresse der Frau Donauer (vgl. Nr. 280) geschickt und gebeten, ihr Nichtschreiben bei dieser zu entschuldigen. (J. P. hat dazu in B für die Mitleser angemerkt: Ich bitte ja den Kindern ihre Zukunft nicht zu verrathen.) 324,34 Pathe Caroline: wohl die 1805 geborene Tochter Gottlieb Richters. 326, 2—4 Wolfart: vgl. IV. Abt. (Br. an J. P.), Nr. 178. 4 Raumer: vielleicht absichtlich aus Vorsicht statt Reimer, s. 321, 10—13†; doch vgl. 306, 6†. 18 Betty: Karoline wollte mit ihr wegen der Rückreise korrespondieren.

How to cite

Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/VII_611.html)