Von Jean Paul an Ludwig (Pseud. Peter Leberecht, Gottlieb Färber) Tieck. Bayreuth, 5. Oktober 1805.
Brieftext
Nur die Ungewißheit Ihres wechselnden Aufenthalts verzögerte
so
lange mein Schreiben, dessen Wunsch am stärksten nach der Lesung
Ihres Oktavianus war. Es wäre wol in dieser lauten, und
doch
tauben und nichts sagenden Zeit — wo sogar ein erbärmlicher
Krieg
seinen erbärmlichen Frieden ausspricht und roth genug
unterstreicht —
der Mühe werth, daß Leute sich sprächen, die
sich lieben, wozu ich
nicht nur mich rechne sondern auch Sie.
Wie froh wär’ ich gewesen,
seit ich aus der lauten Stadt
in drei stumme gezogen, mit Ihnen
sogar zu — zanken, wenn nichts weiter möglich gewesen wäre
als
ich der Alte und Sie der Alte, — was wol bei uns zweien,
wenigstens
bei mir nicht ist. Meine Aesthetik sollte Ihnen,
dächt’ ich, mehr ge
fallen als ich sonst; und ich wünschte
herzlich Ihre Worte darüber
und über 1000 andere Sachen
und über den 3ten und 4ten
Titan
und über was Sie wollen. Der Himmel gebe, daß Sie uns bald
Ihre
Jocosa geben, von denen ich gehört, oder wenigstens mir
etwas
davon unfrankiert.
Ich wollte, wir kämen gegen einander recht in Wort- und Brief
wechsel. Ich lebe in einem kunst-öden
Lande; und bedarf wie ein
Schein-Ertrunkner zuweilen des fremden Athems, um den
eignen
zu holen. Antworten Sie mir bald, lieber Tieck. Ich
grüße Sie und
Ihre Gattin.
[Adr.] An H. Tieck in Raum und Zeit.
How to cite
Jean Paul - Sämtliche Briefe (statisch), herausgegeben von Hanna und Ronja, LaLe 2025 (https://acdh-tool-gallery.github.io/jean-paul-briefe-static/V_150.html)